Biodiversitäts-Hotspots heissen Orte beziehungsweise Regionen der Welt, wo auf vergleichsweise kleiner Fläche eine grosse Anzahl verschiedener Tier- und Pflanzenarten vorkommt. Madagaskar mit seinen bekannten Affen, den Lemuren, ist ein klassisches Beispiel dafür. Denn Inseln sind besonders häufig solche Hotspots.
Auch wir Menschen haben Hotspots: Orte, an denen sich viele Menschen unterschiedlicher Herkunft auf relativ engem Raum befinden. Mit Biodiversität – Artenvielfalt – haben diese Hotspots nichts zu tun, denn der Mensch ist ja nur eine einzige Art. Aber divers sind sie trotzdem.
Der Zoo Zürich ist ein solcher Hotspot, wenn auch mit einem schwergewichtig schweizerischen Publikum. Ein weiterer menschlicher Hotspot sind die Mittelmeerstrände während der Sommerferien. An einem solchen Strand in Italien durfte auch ich meine Ferien verbringen. Auf kleiner Fläche ballen sich hier für kurze Zeit Menschen aus vielen europäischen Ländern, wenn auch mit einem klaren Herkunftsschwerpunkt: Deutschland, Italien und die Schweiz.
Als Biologe – Verhaltensbiologinnen und Verhaltensbiologen verbringen viel Zeit damit, Tiere zu beobachten, um dadurch mehr über sie zu lernen – konnte ich mir diese ideale Gelegenheit nicht entgehen lassen, ein paar Verhaltensbeobachtungen zu den temporären Strandbewohnerinnen und Strandbewohnern anzustellen und, mit viel Augenzwinkern, für Sie zu dokumentieren.
Beginnen wir mit der Ausrüstung. Das deutschsprachige Strandpublikum fährt eine wahre Materialschlacht auf: Schirme, Sandburgenwerkzeuge, Sportutensilien, aufblasbare Schwimmgeräte aller nur erdenklichen Farben und Formen (mit einem klaren Trend zu Einhörnern), Trend-Gadgets wie Stand-up-Paddelbretter, XXL-Strandlaken, Verpflegung und Hunde. Letztere haben natürlich ebenfalls ihre eigene Ausrüstung.
So ist man für jedes nur denkbare Szenario gerüstet, von Sonnenschein und Regen bis zum Weltuntergang, und kann zur Not auch bis zu den nächsten Sommerferien am Strand ausharren. Um es direkt zuzugeben: Auch meine Familie gehört zur Sorte der «Allzeit bereit»-Strandbesucherinnen und -Strandbesucher und gefühlt verbrachte ich mehr Zeit damit, die unzähligen Taschen zum Strandplatz zu tragen, als effektiv gemütlich im Sand zu liegen.
Den Tonnen von D- und CH-Strandmaterial steht eine grosse italienische Bescheidenheit gegenüber: ein Campingstuhl, ein Handtuch und ein Sonnenschirm. Mehr braucht es nicht für das italienische Stranderlebnis – egal ob Rentnerehepaar oder Grossfamilie mit Kleinkindern.
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Neben der Ausrüstungsmenge gab es auch bei den Strandnutzungszeiten klare Unterschiede. Die Besuchszeiten meiner Landsleute ähneln den Essenszeiten einer hiesigen Senioren- und Seniorinnenresidenz. Pünktlich in den frühesten Morgenstunden wird das Material an den Strand gekarrt, über den Nachmittag in der Gluthitze unter Sonnenschirm oder Pop-up-Wurfzelt ausgeharrt und die südländische Siesta geflissentlich ignoriert, um dann gegen 17 Uhr, aber allerspätestens 18 Uhr den Weg zum Abendessen anzutreten. Meist begegnet man dann auf der Strandpromenade den italienischen Strandsitznachbarn und Strandsitznachbarinnen, die nach einem kurzem Strandbesuch am späten Vormittag
nach erfolgreicher Siesta nun die Nachmittags-Einheit am Strand einläuten.
So birgt der Ferienstrand zwar keine Artenvielfalt, aber innerhalb der Art immerhin eine bunte Vielfalt an Verhaltensweisen, die ich beobachten konnte. Als Biologe überlegte ich mir dann aber natürlich auch: Wie würde dieser Strand aussehen, wenn er nicht bloss ein Diversitäts-, sondern eben ein Biodiversitäts-Hotspot wäre? Welche Tiere wären hier und was für ein Kommen und Gehen würde unter ihnen herrschen? Wäre es theoretisch möglich, an einem Ferienstrand Artenvielfalt zu erhalten? Und wären wir Menschen bereit dazu, uns selber dafür ein Stück weit einzuschränken?