Auf einen Blick
- Alpine Biodiversität stark unter Druck durch Klimawandel und Raumnutzungen
- Einwandernde Arten verdrängen heimische und verändern Ökosysteme
- Ein Bewusstsein für die Herausforderungen in den Bergregionen ist wichtig
Der Zustand der Berge – er bewegt das Land. Um wie viele Meter werden die Gletscher dieses Jahr schmelzen? Rutscht der Berg oder nicht? Und: Hat es eigentlich genug Schnee zum Skifahren? Deutlich weniger Aufmerksamkeit als diese Themen erhält die alpine Biodiversität. Zu Unrecht, denn sie ist nicht nur wunderschön und grundverschieden von der Artenwelt im Mittelland, sondern auch stark unter Druck.
Die Ökosysteme der Berge sind einzigartig. Nirgendwo sonst ändern sich die klimatischen Rahmenbedingungen auf so kurzer Distanz. Auf einer Bergwanderung kann man das selbst erleben. Auf saftige Wiesen folgt Wald. Hinter der Baumgrenze dominieren erst magere Bergwiesen, dann mehr oder weniger spärlich begrünter Fels, und irgendwann ist die Bergspitze erreicht.
Sie ist nicht nur das Ziel von Bergwanderungen, sie ist auch das sprichwörtliche Ende der Fahnenstange. Zumindest für viele Arten. Denn die Tiere und Pflanzen der Bergwelt sind oft Spezialisten.
Mehr Kolumnen von Severin Dressen
Temperatur und Niederschlag sind Schlüsselfaktoren. Sie bestimmen, welche Art wo existieren kann. Eine Tierart im Mittelland kann auf Klimaveränderungen mit einer Migration in alle vier Himmelsrichtungen reagieren. Wird es für eine Bergart jedoch langsam zu warm oder zu feucht, kann sie nur nach oben ausweichen. Aber spätestens am Gipfel ist Schluss. Dass in den Alpen die Temperaturen doppelt so schnell steigen wie im globalen Durchschnitt, erhöht die Dynamik umso mehr. Zusätzlich wandern Arten aus tieferen Regionen ein und verdrängen die bestehenden.
Der Pinien-Prozessionsspinner, ein Schmetterling, der eigentlich in den Kieferwäldern des Mittelmeerraums verkommt, breitet sich seit Jahrzehnten in den Alpen aus. Die Tagestemperatur im Winter liegt immer häufiger über 6 Grad, das ist das Minimum, was die Raupe zum Fressen braucht. Um durchschnittlich zehn Höhenmeter pro Jahr kann sich der Falter derzeit in Richtung Berggipfel, oder in seinem Fall Richtung Baumgrenze ausbreiten.
Auch Entwicklungen der Landwirtschaft setzen Bergtierarten, wie den Bergpieper oder das Steinhuhn, unter Druck. Ein gewisses Paradox, denn vor der menschlichen Besiedlung waren die Alpen bis in 2400 m ü. M. mit riesigen Wäldern bedeckt. Erst unsere Waldrodungen schufen neue Lebensräume für Arten, die auf offenes Gelände angewiesen sind.
Die Aufgabe nicht rentabler Berghöfe führt zu einer erneuten Verbuschung der Alpen, die diesen Lebensraum wieder verschwinden lässt. Die gleichzeitige Intensivierung der Landwirtschaft auf vielen verbleibenden Höfen reduziert die Magerwiesen, die mit ihrer Artenvielfalt für Insekten und damit auch die Vogelarten entscheidend sind.
Klimawandel, kein Platz nach oben und veränderte Raumnutzungen: Die Artenvielfalt der Berge ist besonders stark unter Druck – wenn uns das bewusst wird, ist schon viel gewonnen.