Das Problem der Wissenschaftsleugnung ist nicht neu. Der Klimawandel wird infrage gestellt, seit in den frühen 1980er-Jahren erstmals darüber gesprochen wurde, und die Versuche der Tabakindustrie, die Gefahr des Rauchens kleinzureden, reichen noch weiter zurück. Auch Impfungen werden schon lange angezweifelt. Durch die Pandemie erfuhr dieses Problem erheblichen Aufwind: Fakten sind mittlerweile für viele nichts anderes mehr als Meinungen, die sie mit jeder beliebigen Behauptung widerlegen können.
Tatsachen zu leugnen, hat allerdings immer einen Zweck. Warum Tabakfirmen flunkern, liegt auf der Hand. Weshalb hingegen Privatpersonen dazu übergehen, das Gegenteil dessen zu glauben, was in der Zeitung steht, und ihr Vertrauen Youtube-Schwätzern schenken, ist etwas komplexer. Sie haben kein konkretes Ziel, das sie mit ihren Zweifeln verfolgen, aber trotzdem einen eindeutigen Nutzen:
1. Wer gegen den «Mainstream» ist, ob künstlerisch oder ideologisch, teilt sich einer kleinen, aber erhabenen Gruppe zu. Diese Von-oben-hinab-Haltung verleiht einem ein wohliges Gefühl moralischer und intellektueller Überlegenheit.
2. Gleichzeitig existiert eine merkwürdige Von-unten-hinauf-Sicht, die staatliche Verordnungen und andere autoritäre Einlassungen als böswillige Schikane interpretiert. Sich dagegen aufzulehnen, erscheint als ebenso zwingend wie heroisch.
Diese Gewinne sind nicht zu unterschätzen. Viele Menschen fühlen sich auf irgendeine Weise benachteiligt und unterlegen und sind deswegen offen für entsprechende Aufwiegelung. Das machen sich Parteien wie die SVP und die AfD geschickt zunutze. Demokratie hat viel mit Aufklärung zu tun, weswegen «alternative Fakten» ein ernsthaftes Problem darstellen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt – und entschlossenen Widerstand erfordern.