Das lateinische «discutere» heisst auf Deutsch «zerteilen, zerlegen». Gemeint ist allerdings ein Gegenstand, nicht das Gegenüber. Genau so werden Diskussionen heute aber oft geführt: als existenzieller Kampf. Die eigene Meinung wird als zwingend richtig empfunden, eine abweichende daher als zwingend falsch – und somit als Angriff, gegen den man sich verteidigen muss.
Im Iran können sich Andersdenkende so den offiziellen Titel «Feind Gottes» einhandeln, mit tödlichen Konsequenzen, und wir finden das ganz furchtbar. Es ist aber nur die extreme Anwendung einer Geisteshaltung, die auch bei uns weitverbreitet ist: Ich habe recht, und wer etwas anderes behauptet, ist ein Idiot.
Auf diesem Niveau zu diskutieren, also eine Angelegenheit sachlich zu prüfen, ist nicht nur schwierig, sondern unmöglich. Wir wollen aber ohnehin nicht diskutieren, das ist uns viel zu anstrengend. Wir wollen lediglich zum richtigen Team gehören. Sobald ein Thema aufkommt, prüfen wir jeweils nur, wie unser Team dazu steht, und schon ist unsere Meinung gemacht. Und das Feindbild auch gleich.
Risse, die so entstehen, sind schwer zu kitten. Es müssten alle Beteiligten einsehen, dass sie nicht deshalb zum richtigen Team gehören wollen, weil es tatsächlich eines gibt, sondern weil sie keine Lust haben, Widersprüche zu dulden. Beispielsweise jenen, dass die Massnahmen zum Infektionsschutz zwar Leben retteten, aber wirtschaftliche Existenzen zerstörten. Beides ist wahr. Das ist schwer auszuhalten. Zumal man dann nicht mehr herumschimpfen kann. Vielmehr empfindet man Ehrfurcht vor jenen, die damals Entscheidungen zu treffen hatten.
Sprechen Sie mit Ihrer Familie nicht über Politik. Sondern über den Riss, den diese erzeugt hat. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran und reden Sie darüber, wie Sie sich fühlen.