James Linou: Kann man nicht im Weltraum vor der Sonne ein Segel installieren (aus vielen Einzelteilen zusammengesetzt), mit dem man z.B. den Nord- oder Südpol beschatten könnte und so die Erwärmung der Erde aufhalten?
Joël Mesot: Der Vorschlag, die Erde vom Weltall aus künstlich zu beschatten, ist eine von vielen Ideen des sogenannten Geo-Engineerings, die angesichts der ungenügenden Fortschritte im Kampf gegen die Erderwärmung zurzeit vermehrt die Runde machen. Abgesehen von der Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz wäre ein solches Sonnensegel im Weltraum – das gewissermassen jeden Tag eine teilweise Sonnenfinsternis bewirken würde – technisch hochkomplex und mit gigantischen Kosten verbunden. Schätzungen haben etwa ergeben, dass für einen solchen Schirm Dutzende oder Hunderte Millionen Tonnen an Material gebraucht würden. Dies ist bestenfalls sehr ferne Zukunftsmusik. Wir müssen aber jetzt handeln und die Möglichkeiten ausschöpfen, die uns als Erdenbürger zur Verfügung stehen.
Es gibt ähnliche Ideen, die Sonneneinstrahlung hier auf der Erde zu reduzieren, zum Beispiel, indem man Aerosole – also feste und flüssige Schwebeteilchen – in die Stratosphäre einbringt, also die Luft in 10 bis 50 km Höhe, in der sich auch die Ozonschicht befindet. Dieser Vorschlag lehnt sich an die Wirkung von Vulkanausbrüchen an, bei denen grosse Mengen an Schwefeldioxid in die Stratosphäre gelangen. Dort entstehen dann Sulfataerosole, die zu einer erhöhten Streuung des Sonnenlichts führen, und dadurch zu einer gewissen Abdunklung der Erdoberfläche. Nach massiven Vulkanausbrüchen hat dies zur Folge, dass die weltweite Durchschnittstemperatur am Boden für ein bis drei Jahre messbar sinkt.
Wie nun dieser Effekt der Temperaturreduktion durch Aerosole künstlich erzeugt werden könnte, daran wird tatsächlich geforscht, auch an der ETH Zürich. Hierbei handelt es sich aber noch um Grundlagenforschung, um ein besseres Verständnis über ein solches System wie auch über dessen Nebenwirkungen zu entwickeln. Diesen und anderen Ansätzen ist gemeinsam, dass sie Eingriffe in das globale Klimasystem darstellen würden, mit Auswirkungen, die schwer vorherzusagen sind. Entsprechend sind sie auch in der wissenschaftlichen Gemeinschaft umstritten.
Es besteht kein Zweifel daran, dass ein massiver Einsatz von Technologien erforderlich sein wird, um in den nächsten Jahren unsere Energiesysteme zu de-karbonisieren, also CO2-frei zu machen, und um gleichzeitig «negative Emissionen» einzuführen, also CO2 aus der Luft zu filtern. Das ist auch die Einschätzung des Weltklimarats, der Negativemissionstechnologien (NET) für unverzichtbar hält, um das Netto-Null-Ziel bis 2050 zu erreichen. Damit sind beispielsweise technische Lösungen gemeint, wie sie das ETH-Spin-off Climeworks entwickelt, um CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen und in unterirdischem Gestein zu mineralisieren.
Es scheint mir, dass wir angesichts der Dringlichkeit unsere Prioritäten klar darauf setzen sollten, «terrestrische» Lösungen voranzutreiben, die einerseits CO2 vermeiden und anderseits dieses aus der Atmosphäre entfernen. Denn nicht die Sonneneinstrahlung ist das Problem, sondern die Treibhausgase, die wir emittieren. Schliesslich gibt es einen wesentlichen nicht-technischen Teil zur Lösung der Klimafrage, der bei uns selbst und unserem Verhalten liegt.
Mit bestem Dank an Prof. Ulrike Lohmann und Prof. Tom Peter von der ETH Zürich für ihren wertvollen Input.