Regula Eichenberger: Wie koordinieren sich Wissenschaftler weltweit, sodass nicht an etwas geforscht wird, das schon lange existiert?
Martin Vetterli: Bevor die ersten Sprachen entwickelt wurden, mussten die Menschen die grundlegenden Dinge in jeder Generation neu erlernen. Doch mit der Erfindung der Sprache, und vor allem der Inschrift auf Stein und Schriftrollen, konnte erarbeitetes Wissen über Jahrzehnte gespeichert und weitergegeben werden.
Diese ersten Informationsträger waren aber spärlich und über den ganzen Planeten verteilt. Und so wurden viele wissenschaftliche Entdeckungen mehrmals gemacht, wie zum Beispiel, dass die Sonne Flecken aufweist oder dass sich Kontinente bewegen. Erst als die ersten Klöster begannen, diese vereinzelten Wissensfetzen zu sammeln und niederzuschreiben, entstanden die ersten lokalen Wissensorte in Form moderner Bibliotheken. Das berühmteste Beispiel ist wohl die Bibliothek von Alexandria in Ägypten, eine der bedeutendsten Bibliotheken der antiken Welt. In ihr wurden während eines grossen Teils der Geschichte Zehn-, wenn nicht Hunderttausende von Schriftrollen aufbewahrt.
Doch die Geschichte der Wissenssammlung verlief nicht immer so reibungslos. Mit dem Zusammenbruch vieler Reiche wurden wichtige Texte zerstört oder unleserlich, da die Sprachen wechselten, zum Beispiel vom Altgriechischen zu Latein. Viele Texte der Antike mussten übrigens vom Arabischen zurück nach Europa gebracht und übersetzt werden. Mit anderen Worten, ohne eine Datensicherung auf Arabisch hätten wir heute kaum alle Überlieferung des Wissens von Platon!
Die Erfindung der wissenschaftlichen Zeitschriften vor circa 300 Jahren war ein weiterer wichtiger Schritt der Wissensbewahrung. In diesen wird das gesammelte Wissen publiziert, zentralisiert und weitergegeben, aber auch eingeordnet und von anderen Wissenschaftlern überprüft. Diese Kultur ist in den Wissenschaften auch heute noch sehr lebendig. Und nebst der Veröffentlichung werden in den Zeitschriften auch Zusammenfassungen erstellt, sodass jede neue Generation ein bestimmtes Gebiet neu erlernen kann.
Woher wissen Wissenschaftler also, was bereits entdeckt wurde? Die Antwort ist einfach. Heute sind diese Fachzeitschriften in riesige, digitale Datenbanken zusammengepackt, ähnlich wie Bibliotheken. Forschende können so anhand von Schlüsselwörtern herausfinden, was auf einem bestimmten Gebiet bereits bekannt ist oder nicht.
Aber es gibt ein Problem damit: Der Zugang zu den Zeitschriften ist extrem teuer, und viele Universitäten zahlen Unmengen an Geld, um ihren Forschenden und Studierenden den Zugang zu ermöglichen. Glücklicherweise ist die Antwort auf dieses Problem einfach, in der Theorie. Es heisst «Open Science» und will, dass Wissenschaftler und Interessierte einen kostenlosen Zugang zu allen Artikeln haben, einschliesslich der Daten, Programmcodes und Bilder – ein bisschen wie bei Wikipedia. Auf diese Weise würde ein wirklich demokratischer Zugang zum Wissen der Menschheit gewährleistet. Und das Risiko minimiert, etwas zu entdecken, was bereits entdeckt wurde. Von dieser Realität sind wir aber leider noch weit entfernt.