Professor Hengartner erklärt
Geothermie 2.0

Michael Hengartner ist Präsident des ETH-Rats – und damit so etwas wie der Chef-Forscher der Schweiz. In seiner Kolumne erklärt er Wissenswertes aus der Wissenschaft. Diese Woche: Wieso sich Erdwärme als Energiequelle doch noch durchsetzen wird.
Publiziert: 19.05.2021 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 15.05.2021 um 12:45 Uhr
Michael Hengartner (53) ist Präsident des ETH-Rats und Kolumnist im SonntagsBlick Magazin. Zuvor war der Biochemiker Rektor der Universität Zürich.
Foto: Nathalie Taiana
Michael Hengartner (53) ist Präsident des ETH-Rats und Kolumnist im SonntagsBlick Magazin. Zuvor war der Biochemiker Rektor der Universität Zürich.
Foto: Nathalie Taiana
Michael Hengartner

Geothermie – ist das nicht die Sache mit den Erdbeben? Doch. Hat denn das überhaupt noch eine Zukunft? Ja. Und warum? Weil Forschende dabei sind, die Probleme zu lösen.

Aber lassen Sie mich kurz etwas ausholen: Wenns um unsere Energieversorgung geht, hat alles seine Vor- und Nachteile. Erdöl ist billig, aber ein Klimakiller, Sonnen- und Windenergie sind CO2-neutral, aber nicht immer verfügbar. Es gibt aber eine Energiequelle, die umweltfreundlich und reichlich vorhanden ist: Erdwärme – oder im Fachjargon: Geothermie.

Das Prinzip der Stromerzeugung dank Geothermie ist relativ simpel. Zuerst werden zwei Bohrlöcher bis zu 5000 Meter in die Tiefe getrieben, wo die Temperatur zwischen 100 und 200 Grad beträgt. Dann wird Wasser ins erste Loch gepumpt. Das Wasser sucht sich einen Weg durchs Gestein, bis es zum zweiten Loch gelangt. Weil es sich unterwegs stark erhitzt, tritt es dort als Dampf aus. Dieser Dampf steigt durchs zweite Bohrloch auf und treibt eine Turbine an, die Strom produziert.

Beim Bau solcher Anlagen kann es zu Schwierigkeiten kommen. Oft ist das Gestein zu wenig durchlässig, nur wenig Wasser dringt spontan vom ersten zum zweiten Loch. Dem kann nachgeholfen werden, indem zuerst mit sehr hohem Druck Risse ins Gestein gepresst werden – ein bisschen wie beim «Fracking»-Prozess bei Ölfeldern. Doch Vorsicht: Ist der Druck zu hoch, riskiert man, ein Erdbeben auszulösen.

Genau das geschah beim bekanntesten Geothermieprojekt der Schweiz, das 2006/2007 in Basel stattfand. Es musste abgebrochen werden, weil es zu mehreren Erdbeben kam. Mit einer Stärke von bis zu 3,4 waren sie deutlich spürbar und hinterliessen Schäden an Gebäuden.

Wäre es nicht möglich, sanfter Risse zu produzieren und damit das Erdbebenrisiko auszuschalten? Diese Frage untersuchen aktuell ETH-Forschende im Val Bedretto. Dort, in einem verlassenen Seitenstollen des Furka-Basistunnels, haben sie eine Versuchsanlage eingerichtet, mit der sie neue Methoden testen – und ganz genau messen können, was dabei passiert.

So haben die Forschenden zum Beispiel eine Art Gummikorken als Abdichtungen eingesetzt. Dadurch konnten sie das Wasser gezielt in kleinere Bereiche der Bohrlöcher pressen. Mit Erfolg: Die Erschütterungen betrugen nur noch einen Hunderttausendstel des stärksten Bebens des Basler Projekts. Ein weiterer Vorteil: Wenn man nur bestimmte Bereiche bearbeitet, kann man damit geologisch schwierige Gegenden einfach umgehen.

Die Ergebnisse aus dem Bedrettotal sind sehr ermutigend. Und ich bin überzeugt, dass weitere Versuche bald noch bessere Resultate liefern werden. Diese Fortschritte sind wichtig, denn um die Schweiz künftig CO2-neutral mit Energie versorgen zu können, setzt der Bundesrat in der Energiestrategie 2050 unter anderem auf die Geothermie. Als Nächstes soll eine Anlage in Haute-Sorne im Kanton Jura eingerichtet werden. Sie soll Strom für rund 6000 Haushalte liefern. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Erdwärme dank weiterer Forschung als umweltfreundliche Schweizer Energiequelle durchsetzen kann.

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