Milena Moser
Nazis haben die Hochzeit gehackt

Wenn es etwas gibt, das ich an den Amerikanern liebe, dann ist es ihre fast schon mutwillige Tapferkeit auch unter widrigsten Umständen. Doch so langsam fällt auch den unverdrossensten Optimisten nichts mehr ein. Und mir auch nicht.
Publiziert: 08.08.2020 um 14:52 Uhr
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Aktualisiert: 20.08.2020 um 10:23 Uhr
Die Schriftstellerin Milena Moser schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Das schöne Leben der Toten».
Foto: David Butow 2019
Milena Moser

Letzte Woche sass ich mit meiner Freundin Theresa auf der Terrasse eines Ferienhauses mitten im Wald. Sie hatte ein Steak gebraten, ich hatte eine Flasche Wein geöffnet. Bis auf das leise Summen der Mücken und das entfernte Knattern der Geländewagen war es still. Die untergehende Sonne schimmerte rosa durch das dichte Grün.

«Auf uns», prosteten wir uns zu. «Was haben wir es wieder mal gut!» Wir waren so glücklich, für ein paar Tage aus der Stadt rauszukommen. Die verwaisten Lokale und verschalten Schaufenster deprimierten uns. Die Werke der lokalen Künstler, die diese Verschalungen zierten, waren bereits verblichen, mit Graffiti übersprayt oder gleich ganz geklaut worden. An jedem dritten Haus und jedem zweiten Auto hing ein Schild. Zu vermieten. Zu verkaufen. Die Stadt, die wir beide liebten, gab es nicht mehr. Würde es vielleicht nie mehr geben. Und schon seufzten wir wieder. Unser eiserner Vorsatz, wenigstens für ein paar Tage alles zu vergessen, war nicht so leicht einzuhalten, das war uns schnell klar.

«Wir brauchen mehr Wein», sagte ich.

So schnell gaben wir nicht auf. Es musste doch einen Silberstreifen am kaum mehr erkennbaren Horizont geben! Diese zunehmend bedrohliche und zermürbende Situation musste doch auch etwas Gutes haben, nur was? Ich erinnerte mich an ein Ritual, das wir früher mit den Kindern beim Abendessen durchgespielt hatten: Jeder erzählte, was das Beste an diesem Tag gewesen war und was das Schlechteste. Den Kindern fiel allerdings oft gar nichts Schlechtes ein, und sie wollten dafür lieber zwei beste Dinge erzählen.

Ich nahm die Hochzeitsseite zu Hilfe, das Einzige, was ich nach wie vor gerne lese.

Geheiratet wird auch jetzt, aber irgendwie einfacher, inniger, aufs Wesentliche reduziert. Doch als ich das ansprach, schob Theresa ihren Teller von sich, als würde ihr gleich schlecht.

«Die Hochzeit meiner Nichte wurde von Nazis gehackt», sagte sie. Ein Satz, der auch nach zweimal Wiederholen keinen Sinn ergab. Aber so war es: Die Zeremonie, zu der nur drei Gäste zugelassen waren, wurde von der Verwandtschaft live auf dem Computerbildschirm verfolgt. Doch nach wenigen Minuten wurden die feierlichen Worte der Standesbeamtin von wütendem, hasserfülltem Gebrüll übertönt, Bilder aus Konzentrationslagern und mit von Bäumen baumelnden Lynchingopfern füllten den Bildschirm. Das Brautpaar, das natürlich nichts davon mitbekommen hatte, strahlte nach vollzogener Trauung in die Kamera – und schaute in eine Reihe bleicher, zitternder Gesichter, viele in Tränen aufgelöst.

Warum die Neonazis ausgerechnet diese Hochzeit gehackt hatten, weiss niemand. Insgesamt waren vor fünf oder sechs verschiedenen Bildschirmen vielleicht vierzig Menschen versammelt. Was versprachen sich die Nazis davon? Theresa schwieg einen Moment, dann zog sie ihren Teller wieder zu sich heran und säbelte entschlossen an ihrem Steak herum.

«Weisst du, wir hatten danach unglaublich intensive Gespräche in unseren beiden Familien, wir redeten über Themen, die wir sonst eher nicht ansprechen. So gesehen, war das eine Chance für uns.» Sie überlegte einen Moment. «Und hey, diese Hochzeit wird garantiert niemand vergessen!»

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