Milena Moser
Ansprüche

Alleinstehenden Menschen, die diesen Zustand ändern möchten aber das nicht gleich können, wird oft vorgeworfen, sie hätten zu hohe Ansprüche. Das ist eine Frechheit, finde ich: Von der Liebe kann man gar nicht zu viel verlangen.
Publiziert: 06.03.2023 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.03.2023 um 12:24 Uhr
Die Schriftstellerin Milena Moser (59) schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Mehr als ein Leben».
Foto: Barak Shrama Photography
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Milena MoserSchriftstellerin

Carolina spielt Querflöte. Sie singt. Und sie tanzt. Sie zeichnet auch, wunderschöne, federleichte Skizzen, die sie ganz nebenbei in ihr Tagebuch wirft. Sie kocht, sie spricht vier Sprachen, sie hilft im Tierheim aus. Sie hat viele Talente, aber an dem Abend singt sie nur, tanzt sie, spielt sie Flöte.

«Du bist so begabt», sage ich ein wenig atemlos, als ich ihr nach dem Konzert einen Blumenstrauss in die Garderobe bringe. «Ich weiss», sagt sie, eine eher seltene Reaktion auf ein Kompliment. Aber vielleicht die einzig richtige. Carolina reibt sich das Gesicht mit Abschminkcreme ein.

«Ich hätte es vermutlich recht weit bringen können», sagt sie gleichmütig. «Wenn ich all die Energie, die ich darauf verwende, einen Mann zu finden, in mich gesteckt hätte. In meine Arbeit. In meine Kunst.»

Darauf weiss ich im ersten Moment nichts zu sagen, oder vielleicht eher zu viel. In den acht oder neun Jahren, die wir uns nun kennen, hat sie mir so oft, im selben atemlosen, fast panischen Ton von einer neuen Liebe erzählt, einem neuen Mann, dass ich den Überblick verloren habe. Dass ich manchmal den aktuellen Mann mit dem letzten verwechsle. Und manchmal kommt mir ein Buchtitel meiner frühfeministischen Jugend in den Sinn: «Beim nächsten Mann wird alles anders». An den Inhalt des Buches erinnere ich mich ehrlich gesagt nicht mehr, aber ich weiss, dass ich den Titel damals wörtlich genommen, fast schon zum Programm gemacht habe.

Nichts läge mir ferner, als über Carolina oder sonst jemanden zu urteilen. Ich finde meinen eigenen Weg im Leben auch nur, in dem ich immer wieder stolpere und hinfalle und wieder aufstehe. Während ich noch über ihre erstaunlich klare, aber auch irgendwie brutale Bemerkung nachdenke, ist sie schon wieder beim nächsten Mann. «So weit, so gut», sagt sie. «Er ist jedenfalls nicht drogensüchtig, und verheiratet ist er auch nicht.»

Ich will Carolina schon darauf hinweisen, dass das keine sehr hohe Schmerzschwelle ist, als sie sagt: «Allerdings hört er gern 80er-Jahre-Pop, und das geht ja wohl gar nicht.» Hier muss ich vielleicht erwähnen, dass Carolina im Gegensatz zu mir die Achtzigerjahre nicht bewusst miterlebt hat, sie war ein Baby. Aber sie muss meinen Gesichtsausdruck falsch gedeutet haben, denn sie sagt: «Ich weiss, ich weiss, ich habe zu hohe Ansprüche.»

Hat sie nicht. Im Gegenteil. Von der Liebe kann man gar nicht zu viel erwarten.

«Nicht zu hohe», sage ich deshalb. «Aber vielleicht die falschen?» Weiss ich, was die richtigen sind? Wenn es nach Äusserlichkeiten und praktischen Ansprüchen ginge, wenn wir einer Checkliste oder einem Algorithmus vertraut hätten, wären Victor und ich nie im Leben zusammengekommen. Wir passen in vieler Hinsicht überhaupt nicht zusammen, der Musikgeschmack ist da der kleinste Faktor, ich sage nur: Dolly Parton und King Crimson. Und doch bin ich jeden Tag dankbar für diese eigenartige Fügung des Schicksals. So dankbar.

«Das Einzige, was wirklich zählt, ist, wie du dich mit dem anderen fühlst, ob du du selbst sein kannst», sage ich und finde dann, ich klinge schon wie eine Fernsehpredigerin. Verlegen greife ich in die Snackbox, die die Veranstalterin bereitgestellt hat, und nehme mir eine Handvoll Gummibärchen. Carolina entfernt die weisse Creme aus ihrem Gesicht, wie wenn sie eine Maske abstreifen würde.

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