Kolumne «Wild im Herzen» über die Weinbergschnecke Jeremy
Schnecken wählen mehrheitlich rechts

Unter den Schnecken gab es einen Star: Jeremy. Er hatte sogar einen eigenen Twitter-Account. Sein Häuschen war anders gedreht, als es bei seinen Artgenossen üblich ist – mit weitreichenden Folgen.
Publiziert: 26.03.2021 um 06:55 Uhr
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Aktualisiert: 22.04.2021 um 16:06 Uhr
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Simon Jäggi, Mitarbeiter Naturhistorisches Museum Bern.
Foto: Rodriguez/NMBE
Simon Jäggi

Diesmal kümmern wir uns um links und rechts, allerdings geht es für einmal nicht um Politik. Auch in der Tierwelt sind Spezies manchmal nach links, manchmal nach rechts ausgerichtet.

Etwa bei den Vieraugenfischen. Die Männchen besitzen eine Begattungsflosse, die sie entweder gegen links oder rechts bewegen können. Und auch die Öffnung der Weibchen ist nur von einer Seite zugänglich. Das heisst: Nur «linke» und «rechte» Partner können sich begatten. Zum Glück stehen für den Lebendgebärenden Zahnkarpfen aus Südamerika die Chancen, einen Fang zu machen, bei 50 zu 50 – da beide Typen gleich häufig sind. Was steckt dahinter? Die Wissenschaft rätselt.

Weiter ist sie bei den Gefleckten Weinbergschnecken. Britische Forscher haben vor sechs Jahren das Gen entschlüsselt, das entscheidet, in welche Richtung sich das Schneckengehäuse windet. Wie die meisten Schnecken verfügen Weinbergschnecken über ein rechtsgewundenes Gehäuse.

Jeremy dagegen war ein Schneckenkönig. Sein Häuschen war nämlich gegen links gewunden, daher durfte er diesen Titel tragen. Die Gefleckte Weinbergschnecke wurde 2016 auf einem Komposthaufen bei London gefunden. Dieselben Forscher, die das Gen entschlüsselt hatten, machten sich auf die Suche nach einem Partner für den royalen Schleimbolzen, um zwei «linke» Exemplare miteinander zu vermehren. Bei links gewundenen Schnecken sind alle Organe auf der linken Seite, auch die Geschlechtsorgane. Geschlechtsverkehr für einen Schneckenkönig ist daher nur mit einem Vertreter seines Ranges möglich.

Sogar via Twitter wurde ein Partner gesucht

Um einen zweiten Schneckenkönig zu finden, richteten die Forscher eigens einen Twitter-Account für Jeremy ein – was ihn zur Berühmtheit machte. Dank der medialen Aufmerksamkeit fanden sie zwei andere linksgedrehte Schneckenkönige, aus Mallorca und Ipswich. Allerdings interessierten sich die beiden mehr füreinander als für Jeremy. Wenig später starb der Schneckenstar.

Die Geschichte nimmt aber ein gutes Ende: Kurz vor seinem Tod hatte Jeremy doch noch Nachkommen gezeugt, allerdings allesamt rechtsgewundene. Und inzwischen ist es den umtriebigen Forschern gelungen, Schneckenkönige zu züchten. In ihrer Studie, die erst kürzlich erschien, schätzen sie die relative Häufigkeit von Individuen mit linksdrehendem Gehäuse auf maximal 1 zu 40'000.

Simon Jäggi (41) ist Sänger der Rockband Kummerbuben und arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK.

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