Kolumne «Weltanschauung»
Der letzte Feind

Viele Menschen mögen die Menschheit nicht. Sie betrachten sie als Belastung für den Planeten. Unser Kolumnist sieht das anders. Er hat sogar einen Roman geschrieben, in dem es auch um dieses Thema geht.
Publiziert: 21.06.2020 um 23:35 Uhr
|
Aktualisiert: 30.06.2020 um 09:38 Uhr
Giuseppe Gracia, Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur.
Foto: Thomas Buchwalder
Giuseppe Gracia

Religion und Freiheit sind alte Feinde. Religion unterwirft die Menschen und verwandelt sie in Schäfchen und Fanatiker. Es gibt viele Argumente gegen die Religion.

Doch es gibt auch Argumente für den Glauben an einen Gott, der zu Nächstenliebe und guten Werken auffordert. Man kann vor einer gottvergessenen Gesellschaft warnen und im Zeitalter der Globalisierung zum Beispiel der Meinung sein, dass wir an einer materialistischen Kultur digital gerüsteter Ameisenmenschen arbeiten, an der Totalverwertung des Lebens. Alles wird dem Prinzip der Nutzenmaximierung unterworfen. Wir degradieren uns zur wirtschaftlich-gesellschaftlichen Funktion, zum Objekt der freiwilligen Selbstausbeutung.

Der Mensch und der Delfin

In dieser Perspektive erscheint der Mensch nicht mehr als etwas in sich Würdiges, etwas Höheres mit unverfügbarer Seele. Das macht es schwer, die Menschenrechte zu begründen, denn diese stehen auf dem Fundament der Überzeugung: Dem Menschen kommt eine absolute, nicht verhandelbare Sonderstellung zu. Im Vergleich zum Affen oder Delfin besitzt er eine unvergleichliche Würde.

Wie mehrheitsfähig ist diese Überzeugung heute noch? Wenn man genau hinschaut, betrachten viele die Menschheit als missraten, eine riesige Belastung für den Planeten. Wir denken negativ von unserer Gattung, auch wenn Politiker und Fernsehpromis damit fortfahren, humanistische Werte zu beschwören.

Um dieses Thema kreist mein neuer Roman «Der letzte Feind», der eine internationale Verschwörung rund um den Vatikan beschreibt. Das Buch stellt die Frage, wie es gelingen kann, positiver von der Menschheit zu denken.

Bei sich selber anfangen

Zum Beispiel hat der deutsche Rechtsphilosoph Ernst-Wolfgang Böckenförde festgehalten, dass der freiheitliche Staat von Voraussetzungen lebt, die er selber nicht garantieren kann. Nun könnte man hinzufügen: Auch ein positives Menschenbild lebt von Voraussetzungen, die der freiheitliche Staat nicht garantieren kann.

Zu diesen Voraussetzungen gehört das Herz, die Fähigkeit, ans Gute zu glauben. Und die Erkenntnis: Es ist sehr bequem, sich eine bessere Menschheit zu wünschen. Anspruchsvoller ist es, bei sich selber anzufangen. Beim eigenen Herzen. Oder mit den Worten des französischen Mathematikers und Philosophen Blaise Pascal (1623–1662): «Ein Tropfen Liebe ist mehr als ein Ozean Verstand.»

Giuseppe Gracia (52) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. Soeben ist sein Roman «Der letzte Feind» im Fontis Verlag, Basel, erschienen. In der BLICK-Kolumne, die jeden zweiten Montag erscheint, äussert er persönliche Ansichten.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?