Ich hab die erste Version dieses Textes gekübelt. Ich merkte nämlich: Ich bin zu fest im «Chueche». Im Häuserbesetzungs-Chueche. Damit meine ich nicht, dass ich jemals ein Haus besetzt, geschweige denn an einer Demo dafür teilgenommen habe. Aber ich wohne in einer Stadt. Kenne Menschen, die sich aktiv in der Szene betätigen. Habe schon mal den Fuss auf ein solches Areal gesetzt. Noch vor wenigen Jahren hatte ich dazu aber noch überhaupt keinen Bezug – ja wusste nicht einmal, dass und wofür es solche Aktionen gibt.
Hausbesetzungen machen Wohnungsknappheit sichtbar
Und so geht es wohl 90 Prozent der Menschen, die diesen Text lesen. Sie sehen keinen Sinn hinter einer Hausbesetzung und sind unendlich froh über die Räumung des besetzten Koch-Areals in Zürich. Sollen sie doch aufhören mit dem Habakuk, diese verträumten Linken. Wenn Sie gleich nebenan wohnen, undichte Fenster und ein kleines Schreibaby zu Hause haben: Ich verstehe Sie. Den anderen möchte ich eine neue Perspektive bieten. Das Verständnis für die Bewegung fördern, die viele junge Menschen in der Stadt prägt.
Hausbesetzungen sind ein grosses Politikum: Sie werfen ein Licht auf Wohnungsknappheit und Mieten, für die man schon fast seine Niere und die halbe Leber hergeben muss. Damit haben momentan Jung und Alt zu kämpfen. Steht also ein Haus über Jahre leer, kann dies Frust schüren – und gewisse Menschen beschliessen kurzerhand, dem Gebäude wieder Leben einzuhauchen. Die Herangehensweise ist hinterfragbar, auch ich bin zu gesetzestreu für solche politischen Aktionen. Aber: Wir sprechen darüber.
Es braucht Orte, wo Kreativität entstehen kann
Wenn Wohnraum in der Stadt nur noch für eine reiche Elite erwerbbar ist, dann schadet das unserer Kunst und Kultur – diese entsteht nun mal häufig genau da. Räume, in denen es für einmal nicht um Profit geht, deren Vermietung nicht rentieren muss, bieten eine Plattform. Für das Atelier eines talentierten Künstlers, vielleicht mit dem Potenzial, der nächste Paul Klee zu werden. Für Tanz- und Theateraufführungen, die sich sonst nicht alle leisten könnten. Für soziale Projekte, für die sonst die Zeit und das Geld fehlen.
Hausbesetzungen sind umstritten – zu Recht. Sie sind faktisch illegal und viele von Ihnen würden sie wahrscheinlich weiterhin als utopisch bezeichnen. Aber vielleicht braucht eine Gesellschaft genau solche Menschen: Hausbesetzer, ein paar Traumtänzerinnen. Utopien sind dazu da, um Hoffnung zu geben. Hoffnung auf eine gerechtere Welt. Oder einfach auf mehr bezahlbaren Wohnraum.
Noa Dibbasey (22) studiert und wohnt in Bern – in einer Mietwohnung. Um diese zu bezahlen, musste sie aber schon einige Sparsäuli schlachten.