Kolumne «Meine Generation» über aesthetics
Warum jugendliche Nietzsche lesen – oder zumindest so tun als ob

Aesthetics aus dem Internet geben vor, welche Kleider man kauft, wie man den Kaffee trinkt und was man auf Instagram postet. Ihre Namen – zum Beispiel light academia oder cottage core – verwirren. Kolumnistin Noa Dibbasey klärt auf.
Publiziert: 15.12.2023 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 14.12.2023 um 20:41 Uhr
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Aesthetics geben mehr als nur Kleidungsstil vor, sie sind ein Lifestyle.
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Noa DibbaseyKolumnistin

Was ist deine aesthetic? Vanilla girl, cottage core, cyber y2k, light academia oder fairy grunge? Ist man unter 25 im 21. Jahrhundert ist Ästhetik nicht mehr die Lehre des Schönen, der Harmonie und wird auch nicht mehr mit «Ä» geschrieben. Aesthetics sind ein Lifestyle, ein Lebensgefühl, um das sich der gesamte Alltag dreht. 

Als Geisteskinder der in den 2010er-Jahren beliebten Blogging-Plattform «tumblr» sind unzählige ultra-spezifische aesthetics entstanden und es werden immer mehr. Einige Styles geniessen sehr grosse Beliebtheit, andere sind mehr ein Nischending. 

Die aesthetics geben nicht nur vor, wie man sich kleiden soll, sondern sind quasi ein Package an ganz verschiedenen Attributen. Ein bizli, wie eine bereits konzipierte Ikea-Küche. Jemand hat bereits alle dazugehörigen Charakteristiken zusammengestellt und ich übernehme diese gleich so, ohne viel darüber nachzudenken.

Ein Beispiel: Menschen, die sich als «dark academia» bezeichnen, kleiden sich, als studierten sie an der Oxford-Universität – aber etwa anno 1960. Viel dunkelgrün, schwarz und beige. Man liest Nietzsche – oder tut zumindest so – und schreibt tiefgründige Gedichte. Man trinkt Tee oder Kaffee schwarz. Man ist seriös, hat sein Leben im Griff. Und ganz wichtig: Das Instagram-Profil passt zur aesthetic! In diesem Fall wäre es also strikt voller Poesie, dunklen Farbtönen und gotischen Gebäuden.

Aber verschiedene Geschmäcker und Lifestyles gab es schon immer, könnten Sie mir nun entgegnen? Und dass Kleider Leute machen, dass das alles oft mehr Schein als Sein ist, war auch schon immer klar! 

Das Spannende hier ist, dass sich aesthetics heute oft nicht aufgrund des tatsächlichen Umfeldes bilden, sie finden Inspiration strikt übers Internet. Plattformen wie Pinterest haben so ausgeklügelte Algorithmen, dass sie einem, nachdem man minimales Interesse an einer aesthetic gezeigt hat, bis ins kleinste Detail vorspeisen, wie man diese aesthetic lebt. Man kriegt so lange perfekte Handschuhe, Mittagessen und Nachttischlampen eines bestimmten Styles angezeigt, bis man denkt: Das ist die einzige Form eines erfüllten Lebens. 

In der Realität wird das oft nicht so strikt umgesetzt. Zwar habe ich Freundinnen, die sich auf dem aesthetic-Spektrum ganz klar benennen können («Ich lebe und atme goblin core!»), andere bezeichnen sich als «Mix aus cottage core, academia und clean girl» oder wechseln ihre aesthetic täglich, abhängig von ihrer Laune. Und natürlich gibt es auch ganz viele, die sich gar nicht kategorisieren mögen und finden, man sollte nichts und niemanden imitieren, sondern sich selbst treu bleiben.

Doch ist das möglich? Was wir täglich sehen, hat doch einen unbestreitbaren Einfluss auf uns? Es ist offenkundig, dass uns all diese aesthetics prägen. In unserem eigenen Style, in unserem Kaufverhalten und der personalisierten Werbung, die wir auf Instagram geschaltet kriegen. In der Frage, wie wir wirken wollen und wie wir andere einordnen. Eine Freundin fasst es gut zusammen: «aesthetics machen Spass und sind gleichzeitig auch so lächerlich!»

Noa Dibbasey (21) studiert an der Universität Bern Sozialwissenschaften. Sie schreibt jeden zweiten Freitag im Blick. 

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