Kolumne «Alles wird gut» übers unterschätzte Alleinsein
Ehrenrettung der Einsamkeit

Denken Sie auch oft darüber nach, was andere von Ihnen denken? Haben Sie auch Hemmungen, alleine etwas zu unternehmen? Damit sind Sie nicht alleine. Wir alle sind Opfer des Rampenlicht-Effekts.
Publiziert: 31.01.2022 um 06:47 Uhr
Ursula von Arx

Die Vorstellung, dass andere nur verstehen kann, wer sich ausreichend mit sich selbst verständigt hat, gilt als überholt. Die sozialen Medien haben dazu beigetragen. Im stetigen Kontakt mit vielen kann man sich selbst glatt entrinnen.

Und wird dafür auch noch belohnt: Die Gesellschaft applaudiert jedem, der Eintracht mit anderen für wichtiger hält als Eintracht mit sich selbst. Menschen von heute interessieren sich weniger für sich, vielmehr interessieren sie sich dafür, was andere von ihnen denken oder denken könnten.

Und da steht Alleinsein ganz tief im Kurs. Wehe, man wirkt einsam, sofort hat man das Stigma des Verlierers, glaubt man.

Dass in der Schweiz die alleinlebende Wohnform mit 36 Prozent mit Abstand die am verbreitetste ist, spielt keine Rolle, wenn es darum geht, den Schein der Gesellschaftsfähigkeit zu wahren.

Einsam, komisch, asozial

Um diesen Schein zu wahren, bringen sich Menschen leider um viele Freuden, wie eine Studie von Rebecca Hamilton und Rebecca Ratner im «Journal of Consumer Research» zeigt: Bei notwendigen Tätigkeiten, wie etwa Schuhe einkaufen, zeigten die Studienteilnehmer keine Probleme, sie allein zu erledigen.

Bei Aktivitäten jedoch, die man zum Spass macht, haben viele Hemmungen, sich diesen als Einzelne hinzugeben. Sie vermeiden es, in ein Restaurant, die Oper oder an eine Vernissage zu gehen, und zwar nicht nur, weil sie vermuten, alleine etwas zu unternehmen, sei weniger lustvoll als in Begleitung, sondern vor allem, weil sie Angst haben, die Aura der Freundlosigkeit könnte sie umgeben, andere könnten sie sehen und denken, sie seien einsam, komisch, asozial.

Die Studie zeigte allerdings auch, dass die Studienteilnehmer sich täuschten, und zwar auf der ganzen Linie. Sie zeigte, dass wir uns sehr wohl sehr gut amüsieren können mit uns allein, und sie zeigt, wie irrational die Furcht vor Fremdverurteilung meist ist.

Kristalle in uns selbst

Wir sind Opfer des «Rampenlicht-Effekts», wie Psychologen unsere Tendenz nennen, die Aufmerksamkeit chronisch zu überschätzen, die andere auf uns richten. Die bemerken uns nämlich kaum. Die sind viel zu sehr damit beschäftigt, wie wir sie wahrnehmen.

Unbesorgt können wir also ganz alleine unserem Vergnügen nachgehen, es mit niemandem teilen als uns selber und so nach den Kristallen in unserem Ich schürfen. Alles wird gut.

Ursula von Arx geht aus Gewohnheit meist in Begleitung aus. Viel zu lange schon war sie nicht mehr in einem Konzertsaal unter lauter fremden Menschen. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im Blick.

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