Mehr als jedes andere Fest ist Weihnachten beladen mit Ritualen, und das ist gut so. Denn Rituale können Wunder wirken, selbst wenn sie leer und aufgesetzt sind und verdorben durch Geldgier, des eigentlichen Sinns beraubt – das alles macht nichts, im Gegenteil.
Rituale sind einfach. Für ihr Funktionieren benötigen sie weder innere Überzeugung noch innere Beteiligung noch Gedankenarbeit: Tatsächlich an die Geburt des Herrn in einem Stall von Bethlehem zu glauben, ist etwas sehr Anspruchsvolles, aber gemeinsam «Ihr Kinderlein kommet» zu singen, aus vollem Herzen und voller Kehle, macht jeden froh. Auf den Erlöser zu warten, verlangt übermenschliche Geduld, ein Geschenk hingegen ist schnell ausgepackt. Das Licht am Ende dieses dunklen, nassen Winters zu sehen, verlangt viel Vorstellungskraft, jedoch ist es ein Leichtes, die Kerzen am Weihnachtsbaum anzuzünden.
Letzte Bastion der Gemeinsamkeit und Verbindlichkeit
Wer hingegen würde am Geburtstag von Herrn Bundesrat Berset einen Stiefel vor die Tür stellen in der Erwartung einer Bescherung? Wir würden auch niemals Lieder vor verschneiten Häusern singen, die von der Geburt eines Impfstoffes künden.
Solch verrückte Dinge tun wir nur an Weihnachten und auch als Ungläubige. Weihnachten ist das einzige Fest, das geblieben ist, das wir mit immer noch einigermassen verbindlichen Ritualen begehen.
Rituale entlasten uns von Entscheidungen und stärken Beziehungen
Wahrscheinlich erinnert die eher knüppeldicke Symbolik – grüner Baum im Winter, Lichter in der dunkelsten Zeit, eine Jungfrau als Mutter, Stall, Hirten, Könige – einige von uns tatsächlich noch an Zeiten, heidnische wie christliche, als die Welt noch ein geheimnisvollerer Ort war und das Rätsel des Lebens nicht mit streng durchgetakteten Alltagen wegorganisiert wurde.
Aber auch wer mit keiner Faser vom Überirdischen berührbar ist, kann sich auf das Fest der Feste und seine Rituale einlassen. Diese entlasten uns von Entscheidungen und sind Kitt für Beziehungen. Jedes Jahr führen wir dasselbe Theaterstück auf. Apéro, Baum, singen, Fondue chinoise, Geschenke, Eistorte. Auch die Rollen wechseln nie, die erwachsene Frau fährt heim zur Mutter und ist wieder das Kind, das sie mal war, selbst wenn sie inzwischen eigene Kinder hat. In dieser Vorhersehbarkeit liegen Hoffnung und Beständigkeit, Trost und Kraft zu jeder Zeit. Alles wird gut.
Ursula von Arx hat vor einigen Jahren den Weihnachtsbaum in ihrer Stube abgeschafft. Und fragt sich immer noch, ob das richtig war. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im Blick.