War man während des Corona-Lockdowns am Verzweifeln, konnte einen der französische Philosoph Blaise Pascal (1623–1662) zum Durchhalten ermutigen. Er befand, das Unglück der Menschen rühre allein daher, «dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen».
Als endlich ein Ende der Abschottung in Sicht war, durfte man getrost zurück- und gestärkt vorwärtsschauen, etwa mithilfe des englischen Theaterautors Harold Pinter (1930–2008): «Bevor man es nicht geschafft hat, in einem Zimmer zu leben, kann man nicht hinausgehen und kämpfen.»
Die Selbstbesinnung im Zimmer als Vorbereitung auf die Besinnungslosigkeit der Welt? Wenn die Vorstellung hilft, warum nicht.
Das Grau der reinen Vernunft
Wobei man die Welt natürlich auch entspannter angehen könnte als in Kampfmontur. Schäkernd zum Beispiel oder schmeichelnd, auch das Ausweichen kann ein guter Weg sein, das Durchwursteln, Tändeln, Turteln, Lächeln, Lachen.
Aktuell ist das Covid-Zertifikat ein vielversprechender Verhaltenslockerer. Das Covid-19-Gesetz schafft die Grundlage dafür.
Von Pascal zu Pinter zum Covid-19-Gesetz? Von philosophisch überhöhter Stubenhockerei zu kompensatorisch motiviertem Handlungseifer hin zur reinen Vernunft? So jedenfalls werben SP-Plakate für die Abstimmung vom 28. November 2021: «Ja! aus Vernunft», grau in grau sind die Buchstaben gesetzt. Als ob wir auf dem Weg zu einer Beerdigung wären.
Es gibt auch freudige Hoffnung
Eher schlagen wir dem Tod ein Schnippchen. Das Zertifikat kann den sozialen, physischen, wirtschaftlichen, kulturellen Covid-Tod von vielen und vielem verhindern. Das mag eine vernünftige Hoffnung sein. Es ist aber auch eine freudige Hoffnung. Weil das Zertifikat dem extravertierten, neugierigen, begegnungsfrohen, konsumistischen, exzessiven, offenen, fremden, wahren Leben wieder Raum verschafft.
«Im Zimmer bleiben, um dem Unglück zu entgehen» oder «Im Zimmer bleiben, um kämpfen zu lernen» oder «Ja zum Zertifikat – aus Vernunft» oder «Ja zum Zertifikat – aus Freude am Leben» – es ist wie mit allen Sprüchen oder Slogans: Der eine mag diesen, der andere jenen. Mal passen sie besser, mal weniger. Aber im Grunde sind sie armselig. Dem Durcheinander und den Sehnsüchten des richtigen Lebens kommen sie nicht bei. Alles wird gut.
Ursula von Arx verteidigt die Freiheiten, die das Zertifikat uns zurückgibt. Auch wenn sie selber heute eher zu den Stubenhockern gehört; jenen der unphilosophischen Art übrigens. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im Blick.