Kolumne «Alles wird gut» über Lust und Pflicht
Sex ist überall. Ist Sex tot?

Als Prickel, Porno und Problem ist Sex allgegenwärtig. Weniger aufregend sieht es gemäss Studien aus, wenn es ums Praktizieren geht. Ist das schlimm?
Publiziert: 14.02.2022 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 15.02.2022 um 19:07 Uhr
Foto: Frederic Cirou/PhotoAlto/laif
Ursula von Arx

Der Westen habe «ausgesext», konnte man kürzlich in der «NZZ» lesen. Gestützt wurde die These von der verkümmernden Lust mit Studien der letzten Jahre, die die Flaute in den Schlafzimmern mit Zahlen belegen.

Wer auf der Suche nach Gründen in die Sechzigerjahre schaut, wird da – wie so oft – fündig: Deren Milch der tabufreien Denkungsart floss so reichlich, dass sie uns noch heute sauer aufstösst. Im Pathos des aufklärerischen Aufbegehrens erklärte die sexuelle Revolution für «normal», was vorher als verderbend galt.

Bald wurde aus dem Ungeheuer, dem einst Verbotenen, Verstörenden, ein domestiziertes Nutztier, gut für die Gesundheit – und noch etwas später, nachdem die «freie Liebe» doch sehr aufreibend war, gut für die Paarbeziehung.

Böse Triebe, fittes Treiben

Auch gut für die Paarbeziehung ist das Reden. Mit dem Wiederaufstieg der Paarbeziehung ging der Aufstieg der Psychotherapie einher. Wer etwas auf sich hielt, hatte seinen Therapeuten, mit dem man über alles redete, die Beziehung, die fehlende Beziehung, den Sex, den fehlenden Sex. Der Sex selbst wurde durch das viele Reden darüber eher weniger.

Natürlich werden auch dem Feminismus Schuld gegeben und #MeToo: Bewegungen, die in stetiger Angst, dass Frauen von übereifrigen Männern «benutzt» oder vergewaltigt würden, den sexuellen Appetit durch vertragliche Absicherung erstickten.

Gleichzeitig ist Sex allgegenwärtig. Auf Plakaten, Tinder, in Filmen, Talkshows, in Pornos sowieso, Porno überall. Sex ist käuflich und nicht nur in Form von Dildos, Lustkugeln, Penisringen. Die allgemeine Marktförmigkeit von Sex und die Übersättigung dieses Marktes werden als weiterer Grund angeführt für die schwelende Sexmüdigkeit.

Und die gilt als Problem. Denn viele sehen ein munteres Sexleben immer noch als Zeichen und Mittel für psychische, physische und soziale Fitness.

Lust am Gängelband, Sex auf Befehl

Warum eigentlich? Immerhin gibt es auch eine Studie der Carnegie-Mellon-Universität in Pittsburgh (USA), die zeigt, dass mehr Sex nicht automatisch glücklicher macht, im Gegenteil. Die Versuchsanordnung war folgende: 123 Paare wurden aufgefordert, doppelt so viel Sex zu haben wie sonst und danach ihr Wohlbefinden zu protokollieren.

Vielleicht könnte man das Resultat der Studie auch so zusammenfassen: Wenn Leute uns befehlen, mehr Sex zu haben und danach unser Glück in einem Formular zu vermessen, dann macht uns das nicht unbedingt glücklicher.

Oder ganz allgemein: Was sich nach Pflicht oder Zwang anfühlt, törnt uns ab. Auch beim Sex. Auch da lassen wir uns nicht gern gängeln. Alles wird gut.

Ursula von Arx braucht nicht viel Sex. Aber sie hat es gern, wenn sie viel Sex gernhat. Sie schreibt jeden zweiten Montag im Blick.

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