Wenigstens gibt es Wolodimir Selenski. Der ukrainische Präsident ist ein wärmender Glanz geworden für die westliche Seele. Er versorgt sie mit Hoffnung auf die Kraft des Widerstands.
Die Hoffnung ist eine verzweifelte. Wahrscheinlich kostet sie viele Tote, viele Flüchtende, viel Zerstörung. Wahrscheinlich wird sie über kurz oder lang vergeblich gewesen sein. Wie viele Familien werden bis dahin auseinandergerissen? Wie viele Städte zerbombt? Wie viele Frauen werden ihre Männer, wie viele Kinder ihre Väter verloren haben? Wie viele Soldaten zwischen 18 und 60 hätten bis dahin aus der Ukraine ausreisen wollen, aber nicht dürfen? Weil sie kämpfen mussten?
Selenski wird als «Held», als «Freiheitsheld» gefeiert, auch als «tragischer Held». Das Bedürfnis nach Helden ist verständlich in dieser haltlosen Gegenwart. Dieser Krieg hat uns zurückgeworfen in eine zweigeteilte Welt. Das postheroische Grau in Grau hat ausgedient. Jetzt gibt es wieder einen übermächtig Bösen und einen, der ihm tapfer die Stirn bietet.
Muss er? Will er? Kann er nicht anders?
Was könnte Letzterer anderes tun? Sollte er sich feige davonschleichen? Sich gar ergeben? Könnte er dies überhaupt? Ist er der Präsident, der sein Volk durch diese Katastrophe führt? Oder haben die Erwartungen seines Volkes ihn zu dem gemacht, was er ist?
Sicher ist, dass es ohne Putin diesen Krieg nicht gäbe. Aber ist es deswegen allein sein Krieg? Könnte er ihn führen ohne diejenigen, die ihm zunicken und seine Befehle weiterleiten? Ohne diejenigen, die Schlachtpläne schmieden, Panzer betanken, Granaten werfen? Ohne diejenigen, die die russische Bevölkerung rund um die Uhr mit seiner Version dieses Krieges bedienen? Und ohne die, die an diese Version glauben oder auch nur den Mut nicht haben, ihrem Zweifel nachzugehen?
Hoffen auf einen zweiten Helden
Und wir? Wir bewundern – aus halbwegs sicherer Distanz – die Standhaftigkeit des ukrainischen Präsidenten. Und manche hoffen auf die Nachricht, dass ein zweiter Held sein eigenes und unser aller Schicksal in die Hand nimmt, den Tyrannenmord erledigt – und der ganze Spuk zu Ende geht.
Mit dem Abschied vom postheroischen Zeitalter scheint die Welt wieder schrecklich einfach geworden zu sein. Nur machen die Gefühle dies nicht mit. Die Angst kann nicht mehr schlafen. Alles werde gut.
Ursula von Arx mag Heldengeschichten und ist froh, dass sie in einem Land lebt, das keine Helden braucht. Sie schreibt jeden zweiten Montag im Blick.