Schon in der Bibel steht es: Wer hat, dem wird gegeben (Matthäus 25,29). Wer reich ist, wird reicher.
Wer aber arbeiten muss, um zu leben, kann arbeiten, so viel er will, richtig reich wird er damit kaum.
Denn nur wer richtig reich ist, kann sich in die kapitalistische Hängematte legen. Er kann lebenslang mit vier Nadeln an einem hellrosa Strumpf stricken oder das Zwitschern der Zilpzalpe zu ergründen suchen, egal. Sein Vermögen wächst, ohne dass er dafür die Finger rühren müsste.
Das Kapital arbeitet für ihn, all die Gewinne aus Aktien und Immobilien, all die Dividenden, 330 Millionen Franken Dividenden haben 2019 die Blocher-Schwestern kassiert, nur als Beispiel.
Geld im Schoss der Mutter
So ist das in der Welt. Und so ist das in der Schweiz. Aber die Verfasser der Bibel hätten sich vor 2000 Jahren wohl kaum träumen lassen, wohin uns das Matthäusprinzip führen würde: Heute besitzen hierzulande die 1 Prozent Reichsten rund 43 Prozent aller Vermögen.
Und den meisten Reichen fällt dieser Reichtum in den Schoss, oder genauer, er ist ihnen schon im Schoss der Mutter sicher: Denn 75 Prozent aller Vermögen der 300 Reichsten in diesem Land sind vererbt worden.
Sollen Superreiche immer noch reicher werden können, während viele andere in Abstiegs- und Zukunftsangst leben? Ist das gut?
Machen Reiche uns alle reich?
Darüber stimmen wir am Wochenende ab: Ob von den Kapitalgewinnen, die den Allerreichsten so anstrengungslos und ungedrosselt zuzuströmen scheinen, ein bisschen mehr der Gemeinschaft zugutekommen soll als bisher.
Die 99-Prozent-Initiative ist nicht perfekt. Wie jede steuerliche Massnahme hat sie Nebeneffekte. Aber die Richtung stimmt: Sie korrigiert die massive Ungleichheit ein wenig. Sie hilft vielen und tut niemandem weh, auch nicht den Superreichen, die ihren Gürtel kaum werden enger schnallen müssen, nur weil ihr Vermögen neu ein bisschen weniger stark steigt.
Trotzdem sagt jeder Politologe, jede Kommentatorin, jeder Wirt und jede Wurst, dass die Initiative keine Chance habe. Woran liegt das?
Haben wir uns an die Ungleichheit gewöhnt? Glauben wir trotz unzähliger Beweise des Gegenteils immer noch, dass der wachsende Reichtum der Reichen uns alle reicher macht? Gibt es eine den Menschen innewohnende Knechtschaffenheit, die sie anhält, sich mit den Verhältnissen abzufinden, statt an ihnen auch nur mit einem Abstimmungszettel ein wenig zu rütteln?
Alles wird gut.
Ursula von Arx hat mit ihren Kindern schon früh Mani Matter gesungen: «Dene wos guet geit, giengs besser, giengs dene besser, wos weniger guet geit.» Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im Blick.