Es ist erst ein paar Monate her, da zeigte Karin Keller-Sutter, wozu die Exekutive in diesem Land eben auch fähig ist. Im Herbst verwarf das Stimmvolk die sogenannte Begrenzungs-Initiative der SVP, die den freien Personenverkehr mit der EU abschaffen wollte. Als Migrationsministerin stand Keller-Sutter an der Spitze der Gegenkampagne. Um die älteren Arbeitnehmer von einem Ja zur Vorlage abzuhalten, zauberte sie mir nichts, dir nichts ein neues Sozialwerk aus dem Hut: die Überbrückungsrente für ausgesteuerte Erwerbslose
über 60 Jahre.
Keller-Sutters Leistung ist beeindruckend, die Überbrückungsrente ohne Zweifel eine gute Sache. Aus strategischer Sicht freilich stellt sich die Frage: Wurde dieses sozialstaatliche Instrument nicht unter Wert verkauft? Wäre die Überbrückungsrente nicht auch wie geschaffen dafür gewesen, das Rahmenabkommen mit der EU innenpolitisch mehrheitsfähig zu machen? Konkret: Hätte der Bundesrat nicht zumindest versuchen müssen, den Gewerkschaften mit der Aussicht auf die Überbrückungsrente ein Ja zum Rahmenvertrag abzuringen?
In der Landesregierung wurde diese Möglichkeit tatsächlich diskutiert. Wegen zahlloser Fehltritte und Versäumnisse hat es sich Aussenminister Ignazio Cassis mit den Gewerkschaften verscherzt – womöglich hätte ihn die Überbrückungsrente wieder ins Spiel gebracht.
Doch ein Bundesratsmitglied wehrte sich damals kategorisch gegen diese Idee: Karin Keller-Sutter. Sie wollte ihren Abstimmungserfolg über die Begrenzungs-Initiative nicht gefährden. Und überhaupt: Keller-Sutter und Cassis sitzen zwar im selben exklusiven Siebnergremium. Sie gehören sogar der gleichen Partei an, der FDP. Am innigsten verbunden sind sie sich aber in gegenseitiger Abneigung.
Die beiden entzweiten sich an ihrer allerersten gemeinsamen Bundesratssitzung, am 10. Dezember 2018. Sowohl SVP-Magistrat Guy Parmelin wie Karin Keller-Sutter bewarben sich um das frei gewordene Wirtschaftsdepartement. Zur allgemeinen Überraschung schlug sich Cassis auf Parmelins Seite, Keller-Sutter wurde ins Justiz- und Polizeidepartement abgeschoben. Diesen Affront hat sie ihrem Kollegen nicht verziehen.
Kein anderes Thema ist umstrittener und mit so vielen Tabus behaftet wie die Beziehungen der Schweiz zur EU. Der Bundesrat kann hier nur in dem Fall etwas erreichen, wenn seine Mitglieder wirklich zusammenarbeiten. Wenn eine Mehrheit entschlossen ist, aller Welt zu zeigen, wozu die Exekutive in diesem Land eben auch fähig ist.
Die Realität sieht anders aus. Die beiden SVP-Bundesräte stehen der EU aus Prinzip ablehnend gegenüber. Der fürs Dossier verantwortliche Aussenminister wiederum ist nicht immer auf der Höhe seiner Aufgabe. Wenn sich in entscheidenden Momenten dann noch eine Politikerin vom Format einer Karin Keller-Sutter von ihren persönlichen Animositäten leiten lässt, ist die Sache gelaufen. Weil zwei Freisinnige sich streiten, gewinnt die SVP.
Nach dem Treffen von Bundespräsident Parmelin mit EU-Chefin Ursula von der Leyen am Freitag konnte man lesen, nun sei der Rahmenvertrag gescheitert. Die Aussage ist falsch: Dieses Abkommen hatte nie eine Chance.