Wie viele Schulklassen befinden sich aktuell in Quarantäne? Meine Recherche-Anfrage geht an mehrere Städte und Kantone. Das Schulamt der Stadt Bern antwortet am schnellsten: «Derzeit ist keine Klasse in Quarantäne.» Ich blicke zu meinem elfjährigen Sohn hinüber, der sich auf dem Sofa fläzt. Am Wochenende hat ihn der Kantonsarzt mit seiner ganzen Klasse für zehn Tage in Quarantäne geschickt. Zu viele Corona-Fälle. Und weil er unzweifelhaft eine Primarschule in der Stadt Bern besucht, hake ich beim freundlichen Herrn vom Schulamt nach: «Könnte es nicht sein, dass sich zumindest eine Klasse in Quarantäne befindet?»
Die Situation entbehrt nicht der Komik. Wirklich zu lachen gibt es allerdings nichts: Das eine Amt weiss nicht, was das andere anordnet. Konfusion statt Krisenmanagement. Auch steht im Mail des Stadtberner Schulamts: «Das Ausbruchstesten kommt aufgrund der sehr hohen Inzidenz und der unzureichenden Ressourcen seitens Kanton oft zu spät.» Übersetzt heisst das: Die Lage ist ausser Kontrolle.
Einige Monate lang fanden an den Berner Schulen repetitive Massentests statt. Einmal wöchentlich wurde die Spucke möglichst vieler Kinder und Jugendlicher eingesammelt und aufs Virus untersucht. Infizierte konnten so rasch ausfindig gemacht, weitere Ansteckungen verhindert werden.
Im September jedoch trat der Kanton auf die Bremse. Corona-Tests sollten nur noch in Klassen durchgeführt werden, in denen offenkundig mehrere Krankheitsfälle auftauchten. Dieses sogenannte Ausbruchstesten, behauptete der verantwortliche Regierungsrat Pierre Alain Schnegg, sei effizienter und für alle weniger belastend.
Das jetzige Chaos in Bern ist der Beweis, dass dies ein Fehlentscheid war. Am Freitag gab der zweitgrösste Kanton des Landes zudem bekannt, dass die Weihnachtsferien vorverlegt werden – damit sich die Virenherde nicht von den Klassenzimmern an die Familienfeste verlagern. Trotzdem findet Gesundheitsdirektor Schnegg den Strategiewechsel vom September richtig. Sein Sprecher teilt allen Ernstes mit: «Das Ausbruchstesten funktioniert.» Und: «Ziel ist die Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichts.» Ja dann, sage ich zu meinem Sohn, lösen wir ein paar Dreisatzaufgaben. Bin heute schliesslich im Homeoffice.
Starrsinn ist ein Merkmal der Zeit, in der wir gerade leben. Eine Meinung mag sich als völlig irrig herausgestellt haben – es wird daran festgehalten.
Und noch etwas ist charakteristisch für die aktuelle Lage: Ermüdungserscheinungen, Flüchtigkeitsfehler, Verständigungsprobleme.
Weil die Situation bei den unter 16-Jährigen in verschiedenen Landesgegenden eskaliert – neben Bern etwa in St. Gallen und Freiburg –, fragte der Bund Ende November sämtliche 26 Kantone, ob repetitive Massentests an den Schulen für obligatorisch erklärt werden sollen. 17 lehnten ab, die Sache war damit erledigt. Dass Bern zu den Verweigerern gehört, war klar. Es sagten aber auch Kantone Nein, die das Verfahren längst praktizieren und für die sich kaum etwas geändert hätte. Graubünden etwa schrieb folgende Vernehmlassungsantwort: «Da bereits annähernd 100 Prozent der Schulen freiwillig an den repetitiven Testungen in Graubünden teilnehmen, kann auf die Einführung obligatorischer Testungen verzichtet werden.»
Das Bundesamt für Gesundheit hatte die Frage schlecht formuliert. Und manche Kantone waren nicht fähig oder willens, den Sinn der Frage richtig zu erfassen. Es ging ja nicht darum, Graubünden zu disziplinieren, sondern den Kindern in Bern, Freiburg und St. Gallen zu Hilfe zu kommen.
Auch dieses Missverständnis zeugt davon, wie erschöpft und durcheinander viele Behörden nach 20 Monaten Pandemie sind.