Mütter und Väter provozieren einen grundsätzlich. Das liegt an der intensiven gemeinsamen Geschichte, aber auch an der bemerkenswerten Unfähigkeit vieler Eltern, in ihren Nachkommen jemals etwas anderes zu sehen als lebensunfähige Trottel, die ohne ständige Einmischung sofort untergehen würden. Was einiges über das Vertrauen in die eigene Erziehung aussagt.
Ausserdem tragen viele Menschen keinen Funken Scham oder Respekt in sich, überschreiten permanent die Grenzen von anderen und kommen sich auch noch gut vor dabei. Und schliesslich scheinen die Verhältnisse von Müttern zu ihren Töchtern besonders gestört zu sein, warum auch immer: Eine minime Gewichtszunahme, schon feuern sie fiese Sprüche ab.
Es spielt keine Rolle, weshalb Ihre Mutter ist, wie sie ist. Es geht nur darum, dass Sie ihr allem Anschein nach zu viel Raum in Ihrem Leben gewähren. Würden Sie sie halb so oft sehen und hören, würden Sie sich halb so oft schlecht behandelt fühlen. Fragen Sie sich also, wie viel Lust Sie überhaupt haben, sich mit dieser Person abzugeben.
Die Antwort wird Sie schockieren. Erstens, weil sie vermutlich sehr dürftig ausfallen wird. Zweitens, weil das in krassem Widerspruch zu Ihrer Erwartung an sich selbst stehen wird. Neben der Stimme, die Ihnen sagt, dass die Alte endlich mal die Klappe halten soll, wird es eine geben, die Ihnen sagt, dass Sie ein braves Mädchen zu sein und zu schweigen haben. Die eine hat recht, die andere nicht. Bestimmt halten Sie die zweite für die richtige.
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Sie sind nicht verpflichtet, sich von Ihrer Mutter alles gefallen zu lassen, und Ihre Mutter hat kein Recht, sich Ihnen gegenüber alles erlauben zu dürfen. Dafür haben Sie das Recht, sich so weit zu distanzieren, dass Sie sich gut fühlen. Das schlechte Gewissen müssen Sie eben aushalten. Es wird verschwinden.