«Wo der Herr nicht die Stadt behütet, dort wacht der Wächter umsonst», heisst es in Psalm 127. Doch da der Herr keine Securitas-Dienste verrichtet, wurde in den rasch anwachsenden Städten des 18. Jahrhunderts ein neuer Beruf geboren: der Nachtwächter.
Er sorgte für Law and Order und sagte sogar die Stunden an, was Schlafende bestimmt brennend interessiert hat. Die Zeitanzeige diente vor allem dem Nachweis, dass er seinem Beruf nachkam. Eine frühe Version der Stechuhr. Mit Hellebarde, Schlüsselbund, Laterne und Horn schritt er die Gassen ab, überprüfte die Stadttore und erfüllte auch polizeidienstliche Aufgaben. Trotzdem entsprach sein Ansehen in etwa dem des Henkers. Man war auf ihn angewiesen, aber man mochte ihn nicht.
Mit dem weiteren Anwachsen der Städte wurde der nächtliche Allrounder allmählich durch Feuerwehren und Polizeidienste ersetzt, und nach der Elektrifizierung der Städte war er nur noch Geschichte. Es wurde Licht.
Zurück in die Dunkelheit?
Heute möchten Lichtskeptiker diese Errungenschaft am liebsten rückabwickeln, doch aus gutem Grund gab es bereits in der Antike Strassenbeleuchtungen. Öllampen in Mauernischen boten Lichtpunkte, die Spätheimkehrern die Orientierung erleichterten. Vermögende konnten sich zwar einen Sklaven leisten, der ihnen mit einer Fackel voranging, aber in der Regel blieben die Menschen nach Einbruch der Nacht zu Hause. Auch aus Sicherheitsgründen.
Das leuchtete auch dem Sonnenkönig Louis XIV. (1638–1715) ein. Ab 1667 wurden die Strassen von Paris mit Öllampen beleuchtet. In einer Zeit, in der man den Nachttopf noch aus dem Fenster kippte, war es hilfreich, wenn man sah, wohin man trat. Es ging dem König aber nicht um die Verhinderung von Schenkelhalsbrüchen, sondern um das Verscheuchen von kriminellem Gesindel.
Zeit der doppelten Erleuchtung
Die Zeit der Aufklärung war in doppeltem Sinn die Zeit der Erleuchtung (siècle des lumières). Nicht alle mochten sie. In Winterthur stritten Anfang des 19. Jahrhunderts Konservative gegen Modernisten, weil künstliches Licht angeblich einen Eingriff in die göttliche Ordnung darstellt. Heute fordern einige ein staatliches Verbot von nächtlicher «Lichtverschmutzung» im Stadtgebiet. Gilt für Mieter in Hochhäusern demnächst Lichterlöschen ab Mitternacht?
Claude Cueni (66) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er schreibt jeden zweiten Freitag im Blick. Zuletzt erschienen im Verlag Nagel & Kimche die Romane «Genesis» (2020) und «Hotel California» (2021).