Claude Cueni über das Verbot von Büchern
Tim & Struppi bei den Nazis

Der Comic-Zeichner Hergé war ein Rassist, allein der Band «Tim im Kongo» spricht Bände. Sollte das Buch verboten werden? Wenn wir die Vergangenheit leugnen, lernen wir nichts für die Gegenwart.
Publiziert: 21.01.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 20.01.2022 um 20:28 Uhr
Das umstrittenste Abenteuer der Hauptfigur Tim des Comiczeichners Hergé ist im Kongo abgesiedelt.
Foto: Keystone
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Claude CueniSchriftsteller

«Wenn ich eine Tochter hätte, würde ich ohne Zweifel zögern, ihre Heirat mit einem Ausländer gutzuheissen, und zwar, um ihr zukünftige Probleme zu ersparen. Wenn ich so darüber nachdenke, vielleicht bin ich immer noch ein Rassist.» Ein spätes Bekenntnis von Georges Remi (1907–1983) alias Hergé aus dem Jahr 1973 im Magazin «Le Point». Der Mann, der Grossartiges geleistet hat, war als Mensch alles andere als grossartig. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er wegen Kollaboration mit den Nazis verurteilt.

In diesem Monat wird seine Kultfigur Tim 92 Jahre alt. Das umstrittenste Abenteuer fand im Kongo statt. Der Band erschien 1931, während in europäischen Völkerschauen «halbnackte Neger» wie Tiere zur Schau gestellt wurden. Ausserhalb der Menschenzoos waren die Strassen elektrifiziert, Wolkenkratzer ragten in den Himmel, Dampfschiffe, Züge und Autos verkürzten die Reisewege und Uhren gaben den Takt an. Die Zeitgenossen hielten Weisse deshalb für überlegen und Hergé, ein Kind seiner Zeit, zeichnete einen jungen, weissen Reporter, der von vier Kongolesen in einer Sänfte durch die Savanne getragen wird.

Geschichte ist oft skandalös

Erstaunlich, denn damals berichtete bereits die gesamte Weltpresse über die Kongo-Gräuel des nimmersatten belgischen Königs Leopold II. Acht bis zehn Millionen Kongolesen waren zwischen 1888 und 1908 ermordet worden, um die Gewinnung von Kautschuk für die boomende Automobilindustrie zu beschleunigen. Hergé muss das gewusst haben. Kein Verleger würde heute so was drucken.

Muss man also dieses Album verbieten?

Der Kongolese Bienvenu Mbutu Mondondo meint: ja! Er klagte 2012 vor einem belgischen Gericht, dass der Comic Schwarze als «notorische Faulenzer» darstelle und dass sie «aussehen wie Affen und wie Geistesgestörte reden». Das Gericht entschied, die Klage sei durchaus zulässig, aber unbegründet, weil sie nicht gegen das Rassismus-Gesetz von 1981 verstosse. Vielmehr spiegle Hergés Darstellung der Afrikaner die damalige Zeit wider.

Geschichte ist oft abscheulich, skandalös und abstossend. Verbieten bedeutet, den damaligen Zeitgeist zu leugnen und die Vergangenheit zu verfälschen. Wie soll man die Gegenwart verstehen und daraus lernen, wenn Geschichte gelöscht wird?

Claude Cueni (66) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er schreibt jeden zweiten Freitag im Blick. In seinem parodistischen Roman «Warten auf Hergé» machen sich Tim & Struppi auf die Suche nach ihrem Schöpfer.

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