Ihre Fragen wirken, als hätten nicht Sie die Entscheidung gefällt, ein Jahr lang im Ausland zu leben, sondern eine höhere Macht, und als müssten Sie sich nun mit deren brutalem Diktat arrangieren. Es waren aber Sie selbst, die diesen Beschluss gefasst haben, und dass dieser Ihre Beziehung auf eine harte Probe stellen würde, wussten Sie. Natürlich richtet sich Ihre Aufmerksamkeit nun, da Ihnen nur noch wenige Monate der gewohnten Nähe bleiben, immer stärker auf deren Verlust. Und es ist auch nur menschlich, Unangenehmes so lange wie möglich zu ignorieren. Aber wenn Sie ehrlich sind, kennen Sie die Antwort schon: Mit dem Tag Ihrer Abreise wird Ihre Beziehung enden.
Nicht nur, weil Fernbeziehungen letztlich widernatürlich sind. Und nicht nur, weil ein Jahr aus Sicht des Herzens verdammt lange ist, und auch nicht, weil Sie beide andere Menschen kennenlernen werden. Sondern ganz einfach, weil Sie bewusst eine tiefgreifende Veränderung Ihrer Beziehung in Kauf genommen haben. Sie hätten schliesslich auch hier fertig studieren können. Aber etwas in Ihnen will offenbar weitergehen, buchstäblich in die Ferne, sich entwickeln und wachsen. Und offenbar war Ihnen das in dieser Beziehung nicht mehr möglich.
Manchmal ist genau das – auch wenn man sich mag und versteht – auch ein Grund, sich zu trennen: Weil man ohne einander das noch bessere, wahrere Leben führen kann als miteinander. Weil man nicht mehr die Person ist, die man war, als man die Beziehung eingegangen ist.
Finden Sie einen würdigen, dankbaren Abschluss und lassen Sie einander frei. Eine Trennung ist immer auch ein Geschenk, das man einander macht: Es heisst, dass man dem anderen etwas noch Passenderes gönnt. Und wer weiss – vielleicht sind das ja nach einem Jahr der unabhängigen Entwicklung ja wieder Sie beide.