Kein Wunder. Schliesslich haben Sie jahrelang beim populären Gesellschaftsspiel teilgenommen, bei jeder Gelegenheit zu trinken: zum Abendessen, am Wochenende, an Hochzeiten, Geburtstagen und gern auch nach dem Sport. Und nun scheren Sie einfach aus, indem Sie sagen: Ich brauche keinen Alkohol mehr. Ich kann widerstehen. Das ist eine offene Provokation gegenüber allen, die es eben nicht können. Dabei geht es aber nur am Rand um sozialen Druck.
Gewiss ist man ein Sonderling, wenn man Mineralwasser trinkt, während rundherum schon alle lallen. Zentraler ist aber die Frage, woher dieses kollektive Rauschbedürfnis kommt. Die Antwort liegt im Schmerz, der von schlechtem Selbstwert herrührt, unglücklichen Beziehungen und Traumata in der Kindheit. Solche Probleme sind weit verbreitet – wie auch der Unwille, sie zu bewältigen. Stattdessen wird zum Alkohol gegriffen, einem schnell wirkenden Antidepressivum, das man praktischerweise gleich selbst verschreiben und dosieren kann. Blöd nur, dass dieses Medikament schwere Nebenwirkungen in Form von Depressionen hat: Alkohol macht einen Abend lang leicht und dann mehrere Tage schwer.
Das führt bald zur paradoxen Situation, dass man erstens wegen seiner psychischen Probleme trinkt und zweitens wegen der psychischen Probleme, die entstanden sind, weil man wegen seiner psychischen Probleme getrunken hat. Ein Teufelskreis, in dem nicht nur steckt, wer täglich eine Flasche Schnaps wegsteckt – auch die zwei Feierabendbier sind schon eine Institution, die man nicht mehr so leicht loswird. Kommt dann jemand wie Sie daher, der überhaupt nicht trinkt, erinnert einen das unmissverständlich daran, dass man schwach und süchtig ist. Vielleicht thematisieren Sie das mal mit Ihren Freunden, anstatt nur dankend abzulehnen? Alkohol macht nämlich einsam.