Stellen wir uns vor, kluge Marsmenschen kommen uns besuchen. Ich bin sicher, sie würden sich über die Erdenbewohner derzeit besonders wundern: All die unterschiedlichen Menschen, die sich so fortschrittlich dünken, teilen ihresgleichen nur noch nach Rasse und Sexus ein.
Individuen, jedes einzigartig und anders, werden obsessiv nach kollektiven Kategorien sortiert: Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung. Es werden zwar Hohelieder des Antirassismus und Antisexismus angestimmt – aber die Marsmenschen lassen sich nicht für dumm verkaufen. Sie wissen, dass in der Erwachsenenwelt nicht die Worte, sondern die Taten zählen. All die gesellschaftlichen Zuordnungen bedeuten nichts anderes als eine neue Apartheid – wenn auch gut getarnt im Namen des Antirassismus. Geht es noch absurder?
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Die menschliche Welt, die die Marsmenschen beobachten, ist längst zu unserer Welt geworden, nur haben es noch nicht alle gemerkt. Vorreiter dieser Entwicklung waren die USA, die in den 1960er-Jahren – 100 Jahre nach der Abschaffung der Sklaverei – offiziell wieder damit begonnen haben, Menschen nach rassistischen und sexistischen Merkmalen einzuteilen. Zuerst gings nur um die Hautfarbe, dann auch ums Geschlecht und zuletzt um die sexuelle Orientierung. Die Idee: Benachteiligte Minderheiten sollen von Staates wegen künftig bevorzugt werden. Negative Diskriminierung sollte durch positive Diskriminierung («affirmative action») aufgehoben werden.
Kritiker gab es schon früh, aber sie hatten den Zeitgeist gegen sich. Doch nun hat das amerikanische Verfassungsgericht entschieden, dass die Bevorzugung von Schwarzen, Latinos oder Ureinwohnern an Universitäten dem Gleichheitsgebot der Verfassung widerspricht. Dieses Urteil ist nicht konservativ, wie manche beklagen, sondern weise.
Erstens: Unrecht lässt sich nicht durch weiteres Unrecht aus der Welt schaffen. Oder wie meine Mutter zu sagen pflegt: Wer falsch auf etwas Falsches reagiert, macht den zweiten Fehler. Alles andere ist magisches Denken. Zweitens: Positive Diskriminierung – also die bewusste Bevorzugung einzelner Gruppen – verstetigt deren Benachteiligung. Denn in unseren Köpfen setzt sich die Überzeugung fest, dass es die Benachteiligten nicht durch eigene Leistung, sondern nur dank fremder Bevorzugung nach oben geschafft haben.
Eine faire Gesellschaft tickt anders. Sie gibt allen eine Chance – aber sie diskriminiert nicht. Sie ist wach für individuelle Eigenheiten und ansonsten farbenblind. Und sie braucht auch keine Marsmenschen, die ihr das klarmachen.
René Scheu ist Philosoph und Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern. Er schreibt jeden zweiten Montag im Blick.