Frank A. Meyer – die Kolumne
Das Problem

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Publiziert: 10.01.2021 um 01:04 Uhr
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Aktualisiert: 23.01.2021 um 19:44 Uhr

Amerika hat widerstanden. Das ist gut. Amerika war ­gezwungen zu widerstehen. Das ist schlecht.

Ein Umsturzversuch hat statt­gefunden. Unter Führung des amtierenden Präsidenten. Unvorstellbar. Aber wahr.

Weshalb wurde das Unvorstell­bare Tatsache?

Ja, Donald Trump ist eine ab­norme Persönlichkeit, ein offensichtlich krankhafter Narzisst. Er war nicht in der Lage, seine Abwahl zu akzeptieren. Für ihn bedeutete dieser höchst nor­male demokratische Vorgang eine ­tiefe Kränkung.

Aber genügt dies als Erklärung?

Aufgehetzt und zynisch instrumentalisiert von dem chao­tischen Charakter im mächtigsten Amt des Globus stürmten ­Demonstranten das Kapitol in Washington, ein Denkmal der Demokratie. Ausser Frage steht: Sie verkörperten Überzeugungen und Ge­fühle von Abermillionen Amerikanern.

So fand zusammen, was nicht zusammenkommen darf: Machtbesessenheit und Ohnmachtsgefühle – hochexplosiv.

Ohnmachtsgefühle? Nicht allein die kriminelle Meute, die den Sturm aufs Kapitol inszenierte, steht hinter Donald Trump. Es sind auch enttäuschte, erschöpfte, empörte Bürgerinnen und Bürger, die sich durch die Abwahl ihres Idols in die poli­tische Ohnmacht zurückgestossen fühlen.

Für sie ist das Resultat des 3. November 2020 unerträglich, inakzeptabel – ein ­Betrug. Dass dieses Wahlergebnis aus ­einer korrekten Stimmabgabe hervorgeht, macht den Betrug in den ­Augen derer, die sich als Betrogene fühlen, umso grösser, umso unfassbarer:

Die ganze Demokratie ist für sie Betrug.

Ist aber die ganze Demokratie Betrug, sind die Bürgerinnen und Bürger, die an ihr ­festhalten, indem sie deren Wahlresultate respektieren und die Regeln des demokra­tischen Rechtsstaats befolgen: Feinde.

Darauf gründet der Populismus: auf Feindschaft.

Der Staatsrechtler Carl Schmitt, Kronjurist der Nazis und Rechtfertiger von Hitlers Schreckensregime, definierte Politik als «Unterscheidung von Freund und Feind». Nach Schmitts katholisch-faschistischer Lehre «ist souverän, wer über den Aus­nahmezustand entscheidet».

Lässt sich Donald Trumps Staatsverständnis treffender beschreiben?

Lässt sich das Prinzip des Populismus ­prä­ziser in Worte fassen?

Was sich am Mittwoch in Washington abspielte, ist nicht auf die USA beschränkt. Versuche, das demokratische System des friedlichen Streits zwischen einander achtenden Gegnern zu zerstören und durch ­einen Kampf – einen Krieg – Freund gegen Feind zu ersetzen, sind auch in Europa zu beobachten, von den Mittelmeerländern bis nach Skandinavien, von Ost-Mittel­europa bis an den Atlantik.

Die Demokratie kennt ihre Gefährder: ­Populisten, aktuell meist von rechts, aber nicht zwangsläufig und nicht ausschliesslich.

Was sind die Gründe für Erfolge, wie sie der US-Präsident sogar in den eben erst ver­lo­renen Wahlen noch einheimsen konnte? Es ist der Zorn von Millionen Menschen, die sich von der herrschenden Demokratie-Elite übergangen fühlen, von deren selbstgefälligen Medien missachtet, abgefertigt mit sozialstaatlichen Zuwendungen, in den USA nicht einmal das.

Die offene Gesellschaft des Westens hat ein gewaltiges ­kulturelles Problem: die elitäre Arroganz einer wortmächtigen, Globalesisch sprechenden Schicht gegenüber Millionen nicht nur verbal Ohnmächtiger.

Die Stimme dieser Sprachlosen war vier Jahre lang Donald Trump – ein Sprachwüterich, ein cholerischer Egomane, widersprüchlich, manchmal trotzdem zielsicher, in der Regel aberwitzig und jenseits aller staatspolitischen Vernunft, vor allem unversöhnlich gegenüber seinem grössten Feind: dem Obama-Amerika.

Was hat Barack Obama falsch ­gemacht? Hat er überhaupt etwas falsch gemacht? In den Augen seiner Anbeter diesseits und jenseits des Atlantiks wandelte er doch übers Wasser!

Durch die Tümpel der deklassierten Trumpianer watete der brillante Harvardianer nie.

Über Jahre hinweg herrschte eine Bussi-Bussi-Kultur in den Milieus der Macht, in denen die Demokratie durchaus kom­petent verwaltet wurde: Macron küsste Merkel küsste Obama, Ministerinnen und Minister umarmten einander, nachdem sie sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit auf roten Teppichen entgegen­getän­zelt waren.

Welcher einfache Mensch darf Macron oder Merkel oder Obama küssen? Welcher einfache Mensch fühlt sich zugehörig zur selbstbezogenen Klasse der Staatsbe­sorger?

Könnte es sein, dass den Ausgeschlos­senen förmlich Abbitte geleistet werden müsste von denen, die den gesellschaft­lichen «Diskurs» bestimmen – bewusst ­jeden ausschliessend, der nicht weiss, was mit diesem gespreizten Begriff gemeint ist?

Es könnte sein.

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