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Fix zur Gesellschaft
«Jingle Bells» für die Senioren

Um Weihnachten herum ist man gerne sentimental. Warum wir die Menschen, denen es schlechter geht als uns, nicht vergessen sollten.
Publiziert: 20.12.2020 um 11:40 Uhr
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Aktualisiert: 05.02.2021 um 14:38 Uhr
Alexandra Fitz, stv. Leiterin SonntagsBlick Magazin.
Foto: Thomas Meier
Alexandra Fitz

Ich war spät dran, stieg rasch aus dem Tram und lief in schnellen Schritten nach Hause. Ich zog den Gürtel meines Mantels enger, die Mütze tiefer. Als ich um die Ecke bog, hörte ich Musik. War es «Jingle Bells»? Irgendwo in der Nähe war ein Sänger. Aber wo? Ich folgte seiner Stimme. Ich wollte ihn finden, auch wenn ich längst hätte daheim sein sollen. Als ich ihn erblickte, kullerten schon die ersten Tränen.

Er stand mit einem Mikrofon und zwei Boxen auf einem kleinen Platz und sang tatsächlich «Jingle Bells». Er war alleine. Nicht ganz. Die Bewohner des Alterszentrums St. Peter und Paul standen an den offenen Fenstern und klatschten. Sie wippten und winkten. Er sang für sie. Für all die Senioren. Denn es sieht gar nicht gut aus. Auf der Website heisst es: «Leider hat sich die Situation im Alterszentrum innerhalb von kürzester Zeit stark verändert. Covid-19 verbreitet sich rasant im Alterszentrum.» Das bedeutet konkret: Besuche von Angehörigen nur in Ausnahmesituationen, die Bewohner essen im Zimmer.

Noch ein paar andere Spaziergänger sind stehen geblieben – und sind gerührt. Der Musiker singt nun «What a Wonderful World» von Louis Armstrong. Wir unten, mitten im Leben und frei. Sie oben, im letzten Lebensabschnitt und einsam.

Ein paar Tage später. Ein Mann, mit Holzstock, läuft in gebückter Haltung über die Tramgleise. Schritt für Schritt. Der Weg scheint unendlich und das nächste Tram bestimmt nicht weit weg. Ein junger Mann, im Jogging-Outfit und mit Kapuze über dem Kopf, stellt sich neben den alten Mann und begleitet ihn in seinem Tempo auf die andere Strassenseite. Er weicht nicht von seiner Seite, bis er angekommen ist. Der alte Mann, so gebückt, hat ihn wohl gar nicht bemerkt, seinen stillen Beschützer.

Ich bin ergriffen. Es sind kleine Gesten von Menschlichkeit. Aber gerade in dieser Zeit sind sie umso wichtiger. Auch ich und das Magazin-Team konnten einem älteren Ehepaar eine Freude bereiten.

Liebe Leser, ich wünsche Ihnen schöne Festtage.

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