Fix zur Gesellschaft
Ein Leben lang

Unsere Autorin ist gerührt von einer Kollegin, die seit 35 Jahren zur selben Coiffeuse geht, und fragt sich: Wer begleitet uns eigentlich noch das Leben lang?
Publiziert: 30.04.2022 um 17:03 Uhr
Kolumnistin Alexandra Fitz hat keinen Hausarzt mehr – und hat das schon oft bereut.
Foto: Getty Images/Westend61
Alexandra Fitz

Sie gehe heute Mittag die Haare schneiden, sagt meine Arbeitskollegin am Telefon. Sie müsse noch Blumen kaufen. Denn heute gehe sie das letzte Mal zu ihrer Coiffeuse. Die übrigens immer sagen würde: «Machen wir wieder das Reiche-Weiber-Blond»? Sie meint damit einen speziellen Blondton. Als sie mir das erzählt, weiss ich exakt, welches Blond die Friseurin meint, und muss lachen. Meine Arbeitskollegin erzählt mir weiter, dass sie zu Heidi gehe, seit sie 17 Jahre alt ist. Meine Kollegin ist knapp über 50 (was man ihr nie im Leben ansieht!). Heidi geht in Pension. Deswegen sitzt meine Kollegin das letzte Mal auf ihrem Stuhl. Deswegen die Blumen.

Wir legen auf. Und ich finde die Geschichte so rührend, dass ich sie seither einige Male erzählt habe und dass ich mir seither Gedanken darüber mache, welche Menschen uns ein Leben lang begleiten. Ich spreche nicht von Familie und Freunden. Und Chefs! Ich meine Menschen aus dem Dienstleistungssektor, die eben viel mehr sind als blosse Dienstleister. Weil man sie schon so lange kennt, weil man sie so schätzt.

Ich frage mich, ob die Coiffeuse, der Arzt oder auch der Garagist, die einem ein Leben lang Haare schneiden, Diagnosen stellen und Reifen wechseln, Auslaufmodelle sind. Vor allem bei den Generationen nach meiner Arbeitskollegin. Man geht in Walk-in-Salons am Bahnhof, in Walk-in-Praxen am Bahnhof und statt zur Autogarage auch zum Bahnhof – weil Autos haben ja die Jungen eh keine mehr.

Ich kann Ihnen nicht sagen, wie oft ich mich schon ärgerte, dass ich keinen Hausarzt habe. Der mich von klein auf kennt, dem ich vertraue und dem ich nicht alles erzählen muss, weil es ja sowieso in seinen Akten steht. Immer wenn man einen Hausarzt angeben muss (und das muss man eigentlich noch ziemlich oft), finde ich es schade. Aber ja, wenn man Länder und Städte wechselt wie andere die Unterhosen ...

Immerhin hab ich eine Coiffeuse gefunden, die meine Heidi werden und mir irgendwann auch das Reiche-Weiber-Blond färben könnte. Und einen Garagisten im Quartier hab ich auch, der mir hoffentlich noch viele Jahre die Reifen wechselt.

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