Wer verteilt eigentlich die öffentlichen Gelder? Und was haben wir davon? Frauen leider weniger als Männer. Das zeigen Resultate des sogenannten Gender-Budgeting. Dieses Konzept will Steuergelder zu gleichen Teilen Frauen und Männern zukommen lassen.
Jeder Franken geht um Menschen. Jede Entscheidung um Geld betrifft das Leben von Frauen und Männern. Es geht also auch darum, Finanzpolitiker aufzurütteln.
In der Privatwirtschaft klaffen hier leider enorme Lücken. Den Markt dominieren wohlhabende Männer und diese investieren viel weniger in weibliche Ideen und Gründerinnen. Weltweit fliessen nur zwei Prozent des Risikokapitals in Frauen und ihre Start-ups. Aber auch öffentliche Gelder fördern vor allem die Innovationskraft von Männern.
Dies soll sich ändern. Ob München, Berlin und neu auch Lyon. Jetzt steigen auch französische Grossstädte ins Gender-Budgeting ein.
Gender-Budget-Bewegung wächst
Es geht um Milliarden, allein Lyon hat 615 Millionen Euro zu verteilen. Die Bewegung startete in kleineren Gemeinden wie Bordeaux, Rennes, Grenoble, Brest. Und sie wächst. Auch Paris will sich demnächst der geschlechtergerechten Budget-Allianz anschliessen. Diese Gemeinden wollen so die steigende Ungleichheit zwischen den Geschlechtern verringern und spätestens jetzt Gegensteuer geben.
Die Pandemie hat vor allem Frauen und Mütter überproportional getroffen und aus dem Arbeitsmarkt gedrängt. Das Phänomen ist mittlerweile international gut mit Daten belegt und hat einen Namen: pinke Rezession. Auch in der Schweiz sieht man diese Entwicklung anhand der Job-Daten.
Bessere Gemeinden und Städte für alle
Hinter Gender-Budgeting steckt aber auch standortpolitisches Kalkül. Das geschlechtergerechte Geldverteilen macht Städte und Gemeinden besser.
Studien zeigen, dass sich gerechteres Haushalten auch rechnet. Besonders erfolgreich war Gender-Budgeting in Andalusien, wie eine IWF-Studie aus 2016 darlegt. Die Region hat mehr Kinderbetreuung, mehr weibliche Gründerinnen, mehr weibliche Professorinnen und mehr Hilfsprojekte für häusliche Gewalt als andere Regionen. In Frankreich haben diese Gemeinden beispielsweise besser beleuchtete Trottoirs oder spezielle Knöpfe für Frauen in Nachtbussen, damit sie näher bei ihren Wohnungen aussteigen können. Schulen haben Menstruationsprodukte und grössere Turnplätze statt nur Fussballfelder.
Öffentliche Einrichtungen werden von Frauen und Männern nicht gleich genutzt, Stadien, Fussball- oder Basketball-Felder, Freestyle-Parks haben mehr männliche Nutzer. Sie erhalten Staatsgeld, während andere Institutionen, die Frauen besuchen kaum öffentlich finanziert werden. Es geht also auch darum, Dienste, Zentren und öffentliche Plätze, welche mehr von Frauen genutzt werden, genauso zu stärken.
Zahlen aus Frankreich zeigen: Sportvereinsmitglieder sind zu 60 Prozent Männer und diese profitieren zu 73 Prozent von allen öffentlichen Sport-Finanzierungen. Lyon hat bereits reagiert und investiert jetzt gleich viel Geld in das weibliche Fussballteam wie in die Herren-Mannschaft.
Geschlechterungerechte Insel Schweiz
Geschlechtergerechte Budgets sind nicht neu. Australien will schon seit 1984 genauer wissen, wie sich die Investitionen der Gemeinden auf Frauen auswirken. Grossbritannien seit 1988. Die EU fordert ihre Mitgliedstaaten seit 2003 auf, «Gender-Budgeting» einzuführen. Seit wenigen Jahren anerkennen gar die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF), wie wichtig diese Art von Haushalten für den gesamten Wohlstand einer Region ist. Und die Schweiz?
Hierzulande haben solche Vorstösse keine Chance. Zahlreiche Motionen dazu sind seit den 90ern abgeschmettert worden. Auf lokaler Ebene hat immerhin Basel-Stadt 2007 sein Budget nach Geschlechtern analysiert. Micheline Calmy-Rey trug diese Resultate 2008 bis zur Uno. Dort erfuhren sie Anerkennung, in der Schweiz nicht. Die Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit zählt seit 1984 18 Länder, die Gender-Budgeting fördern, darunter viele EU-Länder wie Österreich und Deutschland. Die Schweiz zählt nicht dazu.
Der kleine Unterschied in den Staatsfinanzen
Dies, obwohl die Gemeinden mittlerweile weltweit mehr Erfahrung und bessere Werkzeuge haben, Daten und Wirkungen der Geldverteilung zu messen. Der Bundesrat hat erst letztes Jahr wieder eine Motion zu Gender-Budgeting abgelehnt und käut darin alte Bedenken wieder. Es sei zu aufwendig, die Daten zu erheben und bringe auf Bundesebene wenig. Fraglich bleibt, warum dies in Österreich möglich ist. Es hat seit 2009 einen Artikel in der Bundesverfassung, der die Länder und Gemeinden zum geschlechtergerechten Haushalten verpflichtet. Jetzt sind die Regionen gefragt. Welche Schweizer Stadt hat den Mut, als erste gerechter Geld zu verteilen? #aufbruch
Patrizia Laeri (43) ist Wirtschaftsjournalistin und Beirätin im Institute for Digital Business der HWZ.