«Ich fühle mich heute fitter als noch vor 21 Jahren, als ich von der Arbeit völlig ausgebrannt in Kanada angekommen bin», erzählt John Tiefenauer (76) BLICK.
Mit seiner Ehefrau hat er bis 1999 zwölf Jahre ein Taxiunternehmen geführt. Sieben Tage die Woche hat das Ehepaar mit vier Kindern gearbeitet und sich kaum Ferien gegönnt. An den Wochenenden war der leidenschaftliche Musiker zudem mit seiner Band im In- und Ausland unterwegs. «Ein unvergesslicher Auftritt neben TV-Auftritten war, als wir in Zumikon zur Wahl von Bundesrätin Elisabeth Kopp spielen durften», erinnert sich Tiefenauer.
Ein langgehegter Traum wird wahr
1992 reiste das Ehepaar erstmals zu John Tiefenauers Schwester nach Kanada. Die erste Nacht verbrachten Tiefenauers in einer Lodge unterwegs auf dem langen Weg zum Haus der Schwester. «Als ich am nächsten Morgen draussen inmitten der Natur stand und diese reine Luft eingeatmet habe, wusste ich: In diesem Land möchte ich leben und sterben.»
Fortan träumte der Taxifahrer vom Auswandern und reiste mit seiner Frau über Jahre immer wieder kurz nach Kanada, bis sie 1999 eine Farm in der Gemeinde Grindrod, im North Okanangan Regional District in British Columbia, erwarben.
Ihr Taxiunternehmen und das Haus in Effretikon haben Tiefenauers verkauft und die Kinder waren erwachsen, als im Juni 1999 Abschied in der Schweiz gefeiert und der Container nach Kanada verschifft wurde. «Wir waren total ausgebrannt und konnten uns in der Abgeschiedenheit sehr schnell erholen und neue Energie tanken», sagt John Tiefenauer.
Wälder, Wiesen, Wildnis und die Weiten Kanadas haben es dem Schweizer Ehepaar angetan, das in einem typischen Blockhaus mit über sechs Hektaren Land abgelegen in einer fruchtbaren Gegend Kanadas lebte.
Getrennte Wege nach 30 Ehejahren
Keine zwei Jahre später plagte die Ehefrau aber das Heimweh und sie reiste für einen Besuch in die Schweiz. «Sie kam nicht mehr zurück, sondern reichte nach 30 Jahren die Scheidung ein und blieb in der Schweiz», erzählt John Tiefenauer. Das sei für die ganze Familie belastend gewesen.
Für John Tiefenauer war eine Rückkehr in die Schweiz trotzdem kein Thema. Er hegt keinerlei Groll gegen seine damalige Frau und hat Verständnis für ihren Entscheid. «Sie war eine wunderbare Ehefrau und Mutter und hat mich 30 Jahre immer bei allem unterstützt und begleitet. Nach unserem aufregenden Leben, viel Arbeit und der Publicity durch meine Auftritte in der Schweiz, kam sie mit diesem neuen ruhigen Leben nicht gut klar und wollte ihr eigenes Leben wieder in der Schweiz leben.»
Bis zur Pensionierung dauerte es da aber noch ein paar Jahre und so musste sich der Schweizer Gedanken machen, wie er bis dahin in der neuen Heimat allein finanziell über die Runden kommt. «Ich war schon immer eine Workaholic und hatte auch wieder Energie und Lust etwas aufzubauen», so der Rentner.
Sein Farmhaus hat er dann erweitert und als Neunzimmer-Ferienhaus an Gäste vermietet. Er selber lebte in dieser Zeit auf dem Grundstück in einem Camper. «Die Vermietung lief so gut, dass ich mir Unterstützung holen musste. Für die Reinigung zwischen den einzelnen Gästen blieben oft nur sechs Stunden Zeit.» Ein kleines Motorhome auf dem Grundstück wurde an eine Familie vermietet. Damit kam wieder etwas Geld rein und die Frau half zudem bei der Hausreinigung mit.
Von der Farm zum Tiny House
Bis 2018 verdiente der Schweizer damit seinen Lebensunterhalt. Dann verkaufte er seine kleine Farm mit Gewinn und zog mit seinem Hund Bobby in ein kleines Tiny House bei Vernon, im südlichen Hinterland der kanadischen Provinz British Columbia.
Nur wenige Gehminuten vom Haus gibt es ein Spital und Einkaufsmöglichkeiten. «Ich bin jetzt noch fit, aber das kann sich ändern. In meinem Alter muss man vorausschauen», so der Rentner. Noch immer unternimmt er mit seinem Hund täglich Spaziergänge oder Wanderungen, trifft sich mit anderen «Hündeler», geniesst die Natur und die Ruhe und hält sich mit Turnen fit.
Ausserdem trifft er sich regelmässig mit Freunden im Victoria Edelweiss Klub, einem Klub mit vielen ausgewanderten Deutschen, Österreichern und Schweizern. «Ich gehöre hier zu den Jüngsten. Viele sind nach dem zweiten Weltkrieg nach Kanada ausgewandert», erklärt Tiefenauer.
Hier kann der Schweizer noch immer seiner grossen Leidenschaft der Musik frönen und spielt von alten Schunkelliedern über Beatles bis Elvis vor begeistertem Publikum. «Hier freuen sich alle, wenn ich spiele, weil sie die alten Lieder noch von früher kennen.»
«In der Schweiz würde mir die Rente nicht reichen»
Überhaupt die Freundlichkeit der Menschen in Kanada und die Hilfsbereitschaft untereinander ist etwas, das Tiefenauer besonders an seiner neuen Heimat schätzt. «Es ist friedlich hier. Wir haben wenig Kriminalität. Muslime, Inder und Afrikaner leben gut integriert zusammen.»
Auch der Schweizer hat sich bestens integriert und denkt nicht an eine Rückkehr in die Schweiz. Mit seiner AHV aus der Schweiz und einer kleinen Rente von Kanada kommt er auf rund 2500 Franken und lebt gut damit. «Manchmal bleibt sogar Ende Monat noch was von meiner Rente übrig. Seit ich nicht mehr arbeite, muss ich auch keine Krankenkasse mehr bezahlen. In der Schweiz würde mir die Rente nicht reichen.»
Geburtstagsfest in der alten Heimat
Heimweh kennt der Auswanderer nicht, und auch mit den oft harten Wintern in Kanada kommt er gut klar. Auch jetzt liegen schon wieder über 20 Zentimeter Schnee. Im letzten Jahr wollte Tiefenauer seinen 75. Geburtstag in der Schweiz feiern. Das wurde ihm mit dem Umzug ins neue Haus aber doch zuviel. «Wenn ich 80 werde, möchte ich aber in der Schweiz ein Geburtstagsfest machen.»
Auch wenn der Schweizer manchmal harte Zeiten in Kanada zu bewältigen hatte, war immer klar, dass er nicht mehr in die Schweiz ziehen wird. «Ich bin kein Wiederkehrer. Für mich geht es nur vorwärts im Leben egal, was auf mich zukommt.» John Tiefenauer hat sein Paradies gefunden und will bis zu seinem letzten Atemzug in Kanada bleiben.