«Ich habe mich 2019 erstmals richtig mit Georgien befasst», erzählt Gerold Schlegel aus Rubigen BE im Gespräch mit Blick. Der gelernte Koch hat lange in der Versicherungs- und Finanzbranche gearbeitet und ein Buch geschrieben.
Die fruchtbaren Böden mit frischem Gemüse, Früchten und ohne Pestizide waren neben der Geopolitik ein Grund, dass sich der Berner näher mit Georgien beschäftigte. Auch seine Partnerin Regina Bircher konnte er für das Landt begeistern.
Die ehemalige Geschäftsführerin eines Buchladens hat sich vor einiger Zeit im Bereich Upcycling selbständig gemacht. Birchler verwertet gebrauchte Materialien, Gegenstände und Rezepturen neu. Ihre Talente und Fähigkeiten können die beiden in ihrer neuen Heimat Georgien gut nutzen.
Unbekanntes Land mit malerischer Landschaft
Zwei Wochen lang ist das Paar im Oktober 2019 erstmals durch Georgien gereist, um sich ein eigenes Bild zu machen. «Wir wussten schnell, dass wir hier unsere Zukunft sehen», erzählt Bircher.
Das Paar schwärmt von der modernen Stadt Tiflis, von den Gebirgen im Kaukasus und von über 500 Rebsorten. «Es gibt hier einige gute Weine. In der Schweiz weiss man überhaupt leider viel zu wenig über Georgien. Hier gibt es so viel zu entdecken», findet Schlegel.
Die Landschaften und die gastfreundlichen Menschen faszinierten die beiden so sehr, dass sie ihre Wohnungen in der Schweiz kündigten und ihre Zukunft ab April 2020 in Georgien planten. Das Paar, das seit zwölf Jahren zusammen ist, lebte vorher in getrennten Wohnungen. Beide haben erwachsene Kinder, die ihren Auswanderungsplan unterstützten.
Leben und Reisen im Camper
Die Coronapandemie verzögerte den Plan vom Auswandern. Bis zur Abreise lebten Bircher und Schlegel in ihrem Camper in der Schweiz. «Das war eine sehr mühsame Situation. Alles war bereits in den Containern, aber wir konnten nichts konkret planen.»
Erst im Juni 2021 konnten die beiden dann losfahren. Ende August haben sie Georgien erreicht, wo sie sich vor Ort in Ruhe nach einem geeigneten Grundstück mit Haus umsehen wollten.
Herausforderungen und neue Freunde
Ein Verkehrsunfall in Georgien, bei dem das Wohnmobil durch einen unaufmerksamen Lenker stark beschädigt wurde, stellte die beiden Abenteurer vor neue Herausforderungen und verzögerte die Weiterreise im Landesinnern. «Wir mussten zwischenzeitlich ein Auto mieten und haben an verschiedenen Gegenden im Zelt übernachtet, bis es kalt und ungemütlich wurde», erzählt der Berner. Durch den Unfall kamen die Schweizer mit den Einheimischen in Kontak, es ergaben sich erste Freundschaften.
Als gebürtige Tschechin spricht Bircher auch Russisch, was den Austausch mit Einheimischen ermöglichte. «Das hat uns auch beim Kauf eines Hauses in Marani geholfen. Wir konnten es für knapp 50’000 Franken kaufen». Zum Haus gehören 5’700 Quadratmeter Land und zwei Wasserquellen. «Für Touristen wäre der Preis wesentlich höher ausgefallen», ist Bircher überzeugt.
Abwanderung der Jungen im Dorf
Auf dem Grundstück stehen unter anderem Apfel-, Birnen- und Kastanienbäume, es wachsen Kiwi, Mandarinen und Pfirsiche, es weiden Schafe und Hunde wachen. «Bei Dämmerung kommen manchmal Schakale zum Tor. Dank den Hunden bleiben sie unserem Grundstück fern», erklärt Gerold Schlegel. Das ländliche Dorf mit rund 300 Einwohnern ist knapp eine Stunde vom Schwarzen Meer und 20 Minuten vom Flughafen entfernt und eine schöne Wandergegend.
«Sehr schade ist, dass viele Gebäude leer stehen und die Jungen zunehmend in die Städte oder nach Polen abwandern, um Arbeit zu suchen», erzählt Bircher. Die Dorfbevölkerung sei darum oft erstaunt, dass sich die Schweizer hier niederlassen. Lachend fügt sie an: «Wir brauchen darum gar keine Adresse hier. Alle wissen, wo die Schweizer wohnen.»
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Kein Stress mit der Renovierung
Die Container aus der Schweiz stehen auf dem Grundstück. Einen Wohncontainer hat Regina Bircher zum Wohnen und Arbeiten ausgebaut und auch das Wohnmobil dient dem Paar bis auf weiteres noch als Unterkunft.
«Die sanitären Einrichtungen und die Küche im Haus befinden sich in miserablem Zustand. Wir kochen im Camper oder im Freien und werden demnächst fortlaufend mit der Renovierung anfangen», so Bircher. Sie hat in der Tschechei unter anderem ein Studium im landwirtschaftlichen Bereich abgeschlossen und mit ihrem Vater dort schon das Haus ihrer Grossmutter umgebaut.
Mit Motoren und schweren Geräten kann Bircher gut: «Wir sind im Haus und im Garten immer etwas am Werkeln, aber wir haben keinen Stress. Unser Luxus hier ist Zeit».
Hilfsbereitschaft unter Nachbarn
Bis auf weiteres ist noch ein ehemaliger Bewohner, der sich die letzten Jahre um Haus und Garten gekümmert hat, in der unteren Etage eingemietet. «Hier hilft und unterstützt man sich gegenseitig unter Nachbarn und trinkt zwischendurch Kaffee oder Wein zusammen», sagt Schlegel. Er vergleicht Georgien mit der Schweiz vor etwa 50 Jahren.
Im Frühling werden Freunde aus der Schweiz anreisen, um beim Umbau mitzuhelfen. Das ist auch Teil des Plans von Regina Bircher und Gerold Schlegel. «Wir wollen hier einen Begegnungsort zum Mitgestalten schaffen, mit Kulinarik und Kursen, und den kulturellen Austausch zwischen der Schweiz und Georgien fördern.»
Unterkünfte im renovierten Haus und in selbstgebauten Lehmhütten oder Baumhäusern sollen dereinst für naturverbundene Gäste, Freunde und Verwandte entstehen. Massentourismus will das Schweizer Paar nicht anziehen, denn schliesslich möchten sie in ihrer neuen Heimat ihr einfaches Leben in der Natur nach Lust und Laune geniessen.