«Geniessen Sie eine spektakuläre Aussicht auf die majestätischen Gipfel und die unberührte Naturlandschaft» – so bewirbt ein Immobilienentwickler aus Graubünden das Projekt «Mareia» mit sieben Wohnungen in Klosters GR. Die Architektur zeichne sich durch eine «harmonische Verbindung örtlicher Traditionen und moderner Bautechnik» aus, schreibt das Architektenteam. Weniger ausgewogen ist das Preisgefüge des Immobilienprojekts.
Während eine 3,5-Zimmer-Wohnung mit 87 Quadratmeter Wohnfläche im ersten Stock für vergleichsweise erschwingliche 860’000 Franken zu haben ist, müssen Käufer für die gleiche Wohnung einen Stock höher 1,85 Millionen Franken zahlen. Beide Wohnungen haben den gleichen Grundriss und identische Ausstattungsmerkmale, wie die Kaufunterlagen vermuten lassen.
Noch extremer ist der Preisunterschied zwischen den 4,5-Zimmer-Wohnungen: Für die günstigste im Erdgeschoss wird 1,08 Millionen verlangt, für die teuerste in der zweiten Etage sind 2,58 Millionen Franken fällig – der Unterschied beträgt horrende 1,5 Millionen Franken oder 150 Prozent. Auch diese Wohnungen sind exakt gleich gross und haben den gleichen Grundriss.
Dass die höher gelegenen Wohnungen eine bessere Aussicht haben, mag die riesigen Preisunterschiede nicht erklären. Der Grund ist der rechtliche Status: Die günstigeren Wohnungen sind als Erstwohnungen für Einheimische deklariert, während die teureren als Zweitwohnungen von Auswärtigen als Feriendomizil erworben werden können.
Abzockerei in den Bergen?
Wird hier die kaufkräftige Unterländerkundschaft abgezockt? Marc Kunz, Juniorchef der R. Kunz Immobilien AG, verneint das. Die Firma aus der Nachbargemeinde Davos GR ist Bauherrin des Projekts. Kunz erklärt die grosse Preisdifferenz mit dem «wesentlich höheren Bodenpreis für Ferienwohnungen sowie mit dem Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage».
Angebot und Nachfrage – damit benennt Kunz das, was seit der Annahme der Zweitwohnungs-Initiative vor über einem Jahrzehnt in den Tourismusregionen völlig aus dem Lot geraten ist. Weil Gemeinden wie Klosters keine neuen, zusätzlichen Zweitwohnungen mehr bauen dürften, wird der Preis für die verbliebenen Objekte in immer schwindelerregendere Höhen gedrückt. Weil bis zur Umsetzung der Initiative viel auf Halde geplant wurde, fand die Preisexplosion in den Bergen mit Verzögerung statt.
Erst seit wenigen Jahren zeigen sich die Preissteigerungen in aller Deutlichkeit, wie Zahlen des Immobilienberaters Wüest Partner belegen. Die Preisschere zwischen Erst- und Zweitwohnungen klafft weiter auseinander – so stark wie nie zuvor. Bei Neubauprojekten wie dem «Mareia» fällt das extreme Preisgefälle besonders ins Auge.
Neubauprojekte mit Zusatzvolumen für Erstwohnungen
Auf dem Grundstück des Projekts stand früher ein Ferienhaus. Das Gesetz erlaubt beim Ersatzneubau, das identische Volumen weiterhin als Zweitwohnung zu nutzen. Lässt die Ausnützungsziffer zusätzliches Bauvolumen zu, dürften damit Erstwohnungen realisiert werden. Genau so gingen die Entwickler auch beim Projekt «Mareia» vor – so wurden vier zusätzliche Erstwohnungen gebaut.
Das generiert Mehreinnahmen für die Immobilienentwickler und schafft zusätzlichen Wohnraum für Einheimische. «Indem wir bei diesem Projekt auch Erstwohnungen anbieten, leisten wir einen Beitrag gegen die Wohnungsnot», sagt Kunz. Gerade die einheimische Bevölkerung habe zunehmend Mühe, attraktiven Wohnraum zu finden, so der Immobilienfachmann.
Mittelständische Familien aus dem Unterland hingegen können sich bei diesen Preisen den Traum von der Ferienwohnung in den Bergen abschminken. Früher zahlten Käufer je nach Gemeinde lediglich einen Aufschlag von vielleicht 300 Franken pro Quadratmeter. Beim Projekt «Mareia» liegt der Zweitwohnungszuschlag inzwischen bei 11’000 bis 15’000 Franken pro Quadratmeter. Dieser Aufpreis fliesst heute jedoch nicht mehr an die Gemeinde, sondern direkt in die Kasse der Entwickler.
Die Berge als Wohnort zweiter Wahl?
Angesichts solcher Zusatzkosten denken sich manche Unterländer: Dann ziehe ich eben ganz in die Berge. Nicht nur sind die Hypothekarbelastungen bei einer Erstwohnung massiv geringer, je nach Gemeinde winken auch stark vergünstigte Saisonabonnemente für Skigebiete. Marc Kunz erklärt, dass er Erstwohnungen auch an nicht einheimische Käufer verkaufe – sofern sie ihren Lebensmittelpunkt nach Klosters verlegen. Die Einhaltung dieser Auflage werde von den lokalen Behörden streng kontrolliert.
Schon vor einigen Jahren sorgte ein ähnliches Projekt in Klosters für Gesprächsstoff. Damals war der Preisunterschied zwischen Erst- und Zweitwohnungen noch deutlich moderater. Heute ist die Schere so weit geöffnet, dass der Anreiz, den Wohnsitz ins Gebirge zu verlegen, für manche zur realen Option wird – ob aus Kalkül oder aus Sehnsucht nach der «unberührten Naturlandschaft».