«Wenn ich in Venezuela bin, dann bin ich ein ganz anderer Mensch», erzählt Blick-Leser Thuri Rüegg (62) aus Hittnau ZH. Der eidgenössisch diplomierte Landwirt aus dem Zürcher Oberland hat sich 1994 in der Schweiz abgemeldet und seinen Hauptwohnsitz nach Venezuela verlegt.
Nur schon das Klima sei für ihn da viel angenehmer, sagt Rüegg im Gespräch mit Blick. Früher habe er noch Eishockey gespielt und sei Ski gefahren. «Seit meiner Knieoperation im letzten Jahr machen mir aber die Kälte und der Winter in der Schweiz extrem zu schaffen.»
«Das Wichtigste beim Reisen ist die Sprache»
Schon früher reiste der Zürcher Oberländer viel lieber in wärmere Länder. Das Geld verdiente er sich damals als Stand- und Messebauer und war oft über Monate auf der ganzen Welt am Arbeiten.
«In dieser arbeitsintensiven Zeit hat sich immer so viel Überzeit angehäuft, dass ich anschliessend gleich mehrere Wochen oder Monate Ferien machen konnte und gereist bin», erzählt er.
Als ein guter Freund dann in die Dominikanische Republik ausgewandert ist, hat Rüegg ihn regelmässig dort besucht. Dafür hat er auch Spanischkurse belegt. «Das Wichtigste beim Reisen ist, dass man sich auch in der Landessprache verständigen kann und so Kontakte mit der einheimischen Bevölkerung knüpfen kann.»
Im Januar 1991 reiste Rüegg dann erstmals mit Kollegen nach Venezuela. «Unser Freund, der auf der Dominikanischen Republik lebt, sagte uns, dass dort die schönsten Frauen sind», erinnert sich Rüegg lachend.
Es waren aber nicht nur die Frauen, die ihm in Venezuela gefallen haben, sondern auch das Strandleben, Natur und Landschaft, wie beispielsweise die bekannten Wasserfälle von Salto Ángel im venezolanischen Urwald sowie das pulsierende Leben in der Hauptstadt Caracas.
Liebe und Heirat in der Ferne
1993 lernte Thuri Rüegg seine Ehefrau Nerly (55) kennen. Ein Jahr später entschied er sich, zu ihr nach Venezuela zu ziehen.
Seither pendelt der Zürcher Oberländer zwischen der Schweiz und Venezuela. Das hat sich auch nicht geändert, als die beiden Töchter Anna Gabriela (26) im Jahr 1995 und Emma Alejandra (17) 2004 zur Welt kamen. «Ich wollte meiner Familie mit der zweiten Heimat in der Schweiz mehr Sicherheit geben», sagt Rüegg.
Eigenes Haus und Hotel mit Traumaussicht
1998 kaufte der Schweizer in Puerto la Cruz 4000 Quadratmeter Land und erstellte in zwei Etappen ein Hotel mit 25 Zimmern, das 2009 fertig war. Daneben steht auf drei Stockwerken sein Haus mit 164 Quadratmeter Wohnfläche und Pool, mit einer Traumsicht auf das karibische Meer.
Zur Strassenseite haben Rüeggs zudem einen kleinen Schnapsladen gekauft. «Der lief früher gut. Mit den politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den letzten Jahren haben die Leute kaum mehr Geld und brauchen vor allem Esswaren und Alltagsdinge. Dementsprechend haben wir das Angebot angepasst und bieten jetzt alles Nötige an», erklärt Rüegg.
Ehefrau Nerly kümmerte sich nicht nur stets um die beiden Kinder, sondern auch um das Hotel und den Gemischtwarenladen, wenn Thuri Rüegg monatelang im Ausland arbeitete. «Ich habe eine tolle Frau, und sie hat unsere Kinder sehr gut erzogen», so Rüegg stolz.
Beide Kinder hatten aber durch ihren Vater auch das Privileg Privatschulen zu besuchen. «Das kostet in Venezuela aber nichts im Vergleich zur Schweiz», erklärt Rüegg.
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Viel Zeit für die Familie
Wenn der Familienvater bei seiner Frau und den Töchtern zu Hause in Venezuela war, hat er sich immer viel Zeit für sie genommen und das Leben mit ihnen genossen. «Wir haben über die Jahre viele Freundschaften aufgebaut, ein angenehmes nachbarschaftliches Verhältnis und Verwandte von meiner Frau mit denen wir engen Kontakt pflegen.»
Restaurantbesuche bei Freunden, ein Bier im Dorf und Strandausflüge mit der Familie geniesst der Schweizer vor allem in seiner arbeitsfreien Zeit in der neuen Heimat. «Ich kann hier jeden Tag in Sandalen und kurzen Hosen herumlaufen.»
Immer wieder in der Schweiz
Die ganze Familie Rüegg war in all den Jahren auch immer wieder in Hittnau bei Grossmutter Marlies Rüegg (84) zu Besuch und wohnte auf dem elterlichen Bauernhof der Familie. In dieser Zeit kümmerten sich Verwandte von Ehefrau Nerly um das Hotel und den Laden in Venezuela. «Man kann nicht allen vertrauen, darum hat sich immer jemanden aus der Familie, während unserer Abwesenheit um unsere Geschäfte in Venezuela gekümmert», so Rüegg.
Auch er wohnt bei seinen beruflichen Aufenthalten in der Schweiz immer im Bauernhaus bei seiner Mutter. Den beiden Töchtern gefällt die Schweiz so gut, dass sie ihre Zukunft in der Schweiz sehen. Die ältere Tochter lebt schon seit einigen Jahren hier.
Nesthäkchen Emma Alejandra ist seit Oktober 2020 mit Papa Thuri in Hittnau und möchte hier bleiben, während Thuri Rüegg in der Schweiz, wie all die Jahre vorher, wieder vorübergehend arbeiten möchte. «Seit Corona läuft aber im Messebau auch nichts und so bin ich momentan in Kurzarbeit und mache immer wieder kleinere Jobs.»
Frühzeitige Pensionierung geplant
Auch wenn seine Töchter in der Schweiz leben wollen, ist für Thuri Rüegg eine vollständige Rückkehr in die Schweiz kein Thema. Obwohl sich das Leben in Venezuela seit dem politischen Machtwechsel negativ verändert und mit der Corona-Pandemie weiter verschärft hat.
Internationale Gäste fehlen in Rüeggs neuer Heimat gänzlich, und das Reisen ist wegen Corona momentan auch den Einheimischen untersagt. «Für mich und meine Frau ist eine Zukunft in der Schweiz undenkbar.» Der «Chrampfer» Rüegg hat dafür über all die Jahre vorgesorgt und weiter in die AHV einbezahlt.
Er hofft, noch in diesem Jahr in seine zweite Heimat zu seiner Frau zu reisen und nächstes Jahr frühzeitig sein Rentnerleben in Venezuela mit Ehefrau Nerly geniessen zu können. «Wenn ich in Puerto la Cruz am Morgen aufstehe und auf das Meer schaue, dann fühle ich mich jeden Tag wie neu geboren.»