Es kommt immer wieder vor, dass Eigenheime einer geplanten Überbauung im Weg stehen. So wird aktuell in Wigoltingen TG ein «Innovationspark» geplant – auf den Plänen sind bestehende Häuser verschwunden. Die Eigentümerinnen und Eigentümer sorgen sich.
Dass man sich gegen solche Pläne wehren kann, zeigt die Geschichte von Dora Himmelberger (91) aus Frauenfeld TG. Sie sah keinen Anlass, ihr Haus an der Schlossmühlestrasse 17 an die Thurgauer Immobilienfirma Tobler Verwaltungs AG zu verkaufen und Platz zu machen für eine neue Überbauung. Ihr Zuhause werde sie erst verlassen, wenn sie «mit den Füssen voran hinausgetragen» werde, sagt sie bei einem Besuch von Blick.
Geld interessiert sie nicht
Dass das Leben im Häuschen inmitten einer Grossbaustelle ungemütlich würde, schreckte sie nicht. «Da ich nicht mehr gut höre, stört mich der Baulärm nicht», sagt sie. Zu einem konkreten Kaufangebot kam es nie. «Ich wollte es nicht wissen. Die Summe hätte keine Rolle gespielt», sagt die ehemalige Angestellte des Einwohneramts Frauenfeld.
Die Baupläne für zwei Überbauungen mit insgesamt 53 Wohnungen und eine Tiefgarage mussten angepasst werden. Denn Dora Himmelbergers schmuckes Häuschen mit Baujahr 1868 bleibt. Ein Nagelhaus, überragt von neu errichteten Bauten. Nagelhäuser sind Gebäude, deren Besitzer sich weigern, ihr Heim für einen Neubau zu verkaufen.
Der Begriff Nagelhaus stammt aus China, wo Wohnhäuser häufig Hochhäusern, Supermärkten oder Strassen weichen müssen. Stellen sich Besitzerinnen und Besitzer quer, müssen die Bauherren ihr Projekt um das Haus herum realisieren. Dann steht das Haus einsam da, wie ein Nagel, der sich nicht in ein Brett schlagen lässt.
In der Schweiz kann der Staat Eigentümer enteignen, wenn deren Haus einem Infrastrukturprojekt wie einer Bahnlinie oder einer Strasse im Weg steht. Oft einigen sich die Parteien gütlich. Manchmal nicht.
In Zürich West wehrten sich die Eigentümer eines über 100-jährigen Hauses gegen die Enteignung – elf Jahre lang, bis vor Bundesgericht. Künstlerkollektive wurden aktiv, symbolträchtige Bilder entstanden, die mediale Resonanz war gross: vergeblich. Das Nagelhaus musste 2016 einer Zufahrtsstrasse zum Maag-Areal weichen.
Ebenfalls 2016 wurde in Zürich das ehemalige Restaurant Güterbahnhof abgerissen, nachdem der Besitzer zweimal bis vor Bundesgericht gegangen war, um die Enteignung abzuwenden. Wo einst das Haus stand, findet sich nun eine Kurve der Westtangente.
Nicht möglich ist eine Enteignung, wenn es um ein Bauvorhaben von Privaten geht. Wie Dora Himmelberger (91) in Frauenfeld stemmte sich auch Künstler Anton Buob (†80) in Luzern gegen den Verkauf seines Hauses an der Bernstrasse, die im grossen Stil «aufgewertet» werden sollte. Nach Jahren willigte er 2016 zu einem Verkauf ein – und starb wenige Wochen später.
Der Begriff Nagelhaus stammt aus China, wo Wohnhäuser häufig Hochhäusern, Supermärkten oder Strassen weichen müssen. Stellen sich Besitzerinnen und Besitzer quer, müssen die Bauherren ihr Projekt um das Haus herum realisieren. Dann steht das Haus einsam da, wie ein Nagel, der sich nicht in ein Brett schlagen lässt.
In der Schweiz kann der Staat Eigentümer enteignen, wenn deren Haus einem Infrastrukturprojekt wie einer Bahnlinie oder einer Strasse im Weg steht. Oft einigen sich die Parteien gütlich. Manchmal nicht.
In Zürich West wehrten sich die Eigentümer eines über 100-jährigen Hauses gegen die Enteignung – elf Jahre lang, bis vor Bundesgericht. Künstlerkollektive wurden aktiv, symbolträchtige Bilder entstanden, die mediale Resonanz war gross: vergeblich. Das Nagelhaus musste 2016 einer Zufahrtsstrasse zum Maag-Areal weichen.
Ebenfalls 2016 wurde in Zürich das ehemalige Restaurant Güterbahnhof abgerissen, nachdem der Besitzer zweimal bis vor Bundesgericht gegangen war, um die Enteignung abzuwenden. Wo einst das Haus stand, findet sich nun eine Kurve der Westtangente.
Nicht möglich ist eine Enteignung, wenn es um ein Bauvorhaben von Privaten geht. Wie Dora Himmelberger (91) in Frauenfeld stemmte sich auch Künstler Anton Buob (†80) in Luzern gegen den Verkauf seines Hauses an der Bernstrasse, die im grossen Stil «aufgewertet» werden sollte. Nach Jahren willigte er 2016 zu einem Verkauf ein – und starb wenige Wochen später.
Seit Baustart 2021 hat sich an der Schlossmühlestrasse viel verändert, wie ein altes Foto zeigt, das gerahmt in Dora Himmelbergers Stube mit dem mintfarbenen Wandtäfer und den Holzbalken hängt. Das Haus, das sie seit 46 Jahren bewohnt, davon die letzten 24 als Witwe allein, ist seit Sommer 2021 frei stehend. Davor war es der erste Teil eines Reihenhauses. Die anderen Hausteile waren schon im Besitz der Immobilienfirma.
Regen im Haus
Nach dem Wegzug all ihrer Nachbarinnen und Nachbarn wurde es für Dora Himmelberger einsam. Sie schaute aus dem Fenster den Bauarbeiten zu, sass weiterhin auf dem Bänkli vor dem Haus. Ein paar Tiefpunkte gab es dennoch.
Für eine Woche zog sie im Sommer 2021 aus, als der Abbruch der restlichen Reihenhausteile anstand. Als sie zurückkam, hatte ihr Haus auf einer Seite nur noch eine improvisierte Wand. «In der ersten Nacht wurde ich im Bett pflotschnass», sagt sie. Die Wand bot keinen Schutz vor dem heftigen Gewitter. Immerhin: Die Hitze des Sommers vermochte alles rasch zu trocknen.
Im folgenden Winter aber setzte die Kälte, die durch die unisolierte Wand drang, der Seniorin zu. Sie bekam eine Kieferhöhlenentzündung. Sie trennte die Stube mit einem schweren Vorhang vom Rest des Hauses ab, um wenigstens dort heizen zu können. «Unter der Kälte im Haus habe ich den ganzen Winter gelitten», sagt Himmelberger. Mittlerweile wurde die Wand auf Kosten der Immobilienfirma instand gestellt und mit Eternit abgedeckt.
«Ich habe, was ich wollte»
Es sei die Lebensfreude, die ihr die Kraft gab, in ihrem geliebten Häuschen mit dem kleinen Garten auszuharren. Die Seniorin ist mit sich im Reinen. «Ich habe ein friedliches Gefühl: Ich habe, was ich wollte», sagt sie. Nach ihrem Lebensende wird ihr Pflegesohn, mittlerweile selbst Grossvater, in das Haus ziehen.
Diese Woche wurde der riesige rote Kran abgebaut, der auf einem hohen Sockel vor ihrem Haus stand und viel Licht wegnahm. «Der gehört der Firma Stutz. Ich habe ihn Gopfried getauft», sagt sie und lächelt schelmisch. Vermissen wird sie ihn kaum. Dafür die ehemaligen Nachbarn, mit denen sie via Chat in Kontakt steht. «Neue Mieter kommen ab Juni», sagt Dora Himmelberger. «Mit ihnen wird es wohl eher unpersönlich.»