Blick zu Besuch bei Liva Tresch (90) im Altersheim
«Ich lebe hier wie in einem Hotel»

Liva Tresch (90) lebt seit einem Jahre in einem Zürcher Altersheim. Ganz freiwillig war ihr Umzug von der eigenen Wohnung ins Altersheim nicht. Bereut hat sie den Schritt aber nie. Im Gegenteil.
Publiziert: 08.10.2023 um 13:54 Uhr
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Aktualisiert: 19.04.2024 um 14:49 Uhr
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Die 90-jährige Liva Tresch mit ihrem Rollator vor dem Haupteingang des «Gesundheitszentrum für das Alter Klus Park» in Zürich.
Foto: CTF
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Corine Turrini FluryRedaktorin Wohnen

«Die letzten 20 Jahre habe ich nur noch in meiner Dachwohnung vor mich hin geschlummert», sagt Liva Tresch (90) aus Zürich. Nachdem die ehemalige Fotografin aufgrund einer Augenerkrankung ihren autodidaktisch erlernten Beruf aufgeben musste, hat sie sich immer mehr von ihrem Umfeld abgeschottet.

Ihre kleine Eigentumswohnung war ihr Rückzugsort, wo sie mit Unterstützung der Pro Senectute lebte, bis es aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht mehr möglich war. «Ich hätte schon zehn Jahre früher ins Altersheim ziehen sollen. Dann hätte ich es noch viel mehr geniessen und mich mehr einbringen und anderen helfen können», erzählt sie beim Besuch von Blick. Angemeldet in einem anderen in Zürich geplanten Altersheim war die gebürtige Innerschweizerin schon länger. Weil statt Alterswohnung plötzlich teure Mietwohnungen geplant waren, musste sie sich nach einer anderen Lösung umschauen.

Nach Restaurantbesuch zur Altersheim-Bewohnerin

Erst vor rund einem Jahr ist Tresch darum ins Altersheim in einem historischen Gebäude in der Stadt Zürich gezogen. Im «Gesundheitszentrum für das Alter Klus Park» bewohnt sie ein Einzimmer-Appartement im Dachgeschoss mit herrlicher Aussicht. «Zuerst war ich nur einmal zum Essen hier im Restaurant. Ich fand aber alles so toll, dass ich mich gleich angemeldet habe», so Tresch. Sie schwärmt vom wunderschönen Park, dem Personal und vom Essen: «Ich lebe hier wie in einem Hotel!» 

In ihrem grosszügigen Appartement hat sie eine eigene Toilette und ein Lavabo. Auf jeder Etage stehen den Bewohnern eine gemeinsame Küche sowie Duschen zur Verfügung. «Das klappt wunderbar. Ich habe hier alles, was ich brauche», sagt sie. Im Zimmer hat sie ausserdem eine eigene Espressomaschine und einen Kühlschrank. Das Putzen und die Wäsche wird vom Personal erledigt.

Das Mittagessen isst Tresch im Speisesaal, wo sie sich einen Tisch mit drei anderen Bewohnerinnen teilt, mit denen sie sich gut versteht. Vom Essen schwärmt sie in den höchsten Tönen, nur «mundgerechte Stücke und bessere Messer» wünsche sie sich manchmal, da ihre linke Hand nach einer Operation nicht mehr so will, wie sie gern möchte.

Im Kopf ist 90-Jährige noch fit, löst gern Sudoku und Kreuzworträtsel, schreibt und philosophiert. «Nur die Verpackung ist alt und ich bin langsam», sagt sie lachend. Zu schaffen machen ihr vor allem der Rücken, die Knie und ihre schmerzhafte Fibromyalgie, die sie manchmal kaum schlafen lässt. «Dann döse ich in meinem Fernsehsessel. Das geht besser als liegen im Bett», sagt sie. Ihr Frühstück und das Abendessen bereitet sie sich selber zu und isst in ihrem Zimmer. «Wir haben ein wunderbares Frühstücksbuffet im Speisesaal, aber am Morgen bin ich lieber für mich allein.»

Ein schwieriges Leben mit Stoff für ein Buch

Tresch hat immer etwas zu tun. Langweilig ist ihr nie. Aktuell bereitet sie eine Ausstellung im Altersheim mit ihren eigenen, sauber archivierten Fotos vor. Oft sei sie aber auch nur am «brösmele» – in Gedanken versunken, um anschliessend ihre philosophischen Überlegungen zu notieren, erzählt sie. «Dabei bin ich Legasthenikerin, unbelesen, ohne Berufsausbildung – ein richtiger ‹Buuretotsch› vom Land».

Tresch blickt als uneheliches Kind, das zeitweise fremd platziert lebte, auf eine schwierige Kindheit mit Misshandlungen zurück. Lange schämte sie sich dafür, dass sie Frauen liebt und fühlte sich wertlos. Mit ihrer bewegten Lebensgeschichte, ihren Arbeiten als Fotografin und ihrer unglücklich geendeten Liebesgeschichte mit ihrer langjährigen Lebenspartnerin könnte sie ein ganzes Buch füllen.

Ein Kapitel über Liva Tresch und ihre Liebe ist in einem erschienenen Buch nachzulesen, das auf ihrem Bücherregal steht, wo sich auch einige antike Fotokameras und weitere «Schätze» finden. Tresch hadert nicht mit ihrer Vergangenheit. «Ich kann verzeihen und habe trotz allem den Rank im Leben gefunden und endlich auch Respekt vor mir selber. Ich respektiere alle und alles.»

Begegnungen, Aktivitäten und Rückzugsmöglichkeiten

Etwas schwindlig sei ihr von der Physiotherapie, erklärt sie beim Besuch von Blick, rafft sich aber auf zum Mittagessen. Für einmal speist sie im öffentlich zugänglichen Restaurant im Garten, wo an den Nebentischen, Handwerker und andere ihre Mittagspause verbringen. Tresch mag Begegnungen und Austausch, nimmt auch an Aktivitäten wie Bastelnachmittagen oder gemeinsamen Kochevents teil, wenn es ihre Tagesform zulässt. «Wir haben im Haus auch eine Kapelle und einen Theatersaal.» Wer Unterhaltung und Gesellschaft möchte, habe hier immer Möglichkeiten, so die Pensionärin. 

«Unser Park hier ist traumhaft. Hier sind auch oft Kinder und gegen Abend Jugendliche», sagt sie beim kurzen Spaziergang nach dem Essen. Mit einem Notfallknopf, den sie immer bei sich trägt, könnte sie jederzeit Hilfe holen. «Bis jetzt war das nie nötig, aber es gibt mir Sicherheit.» Überall finden sich lauschige Sitzgelegenheiten, die sie gern nutzt.

Tresch kennt fast alle Pflanzen im Park, freut sich am Ententeich mit den Fischen und beobachtet gern Vögel im Park. Die Steinliebhaberin hat von ihren früheren Reisen immer Steine mitgenommen und gesammelt. Einen Teil davon hat sie in ihrem Zimmer, andere hat sie im Park unter Bäumen deponiert. «Viele wurden mitgenommen. Das ist doch schön, wenn jemand Gefallen daran findet und meine Steine weiterziehen», sagt sie auf dem Rückweg ins Zimmer.

Sämtliche Freiheiten und Unterstützung wo nötig

Sie sei ein bisschen stolz, dass sie heute so lang auf den Beinen gewesen ist, sagt sie. Den restlichen Tag möchte sie in Ruhe ihrem Zimmer verbringen, bevor sie noch ein leichtes Abendessen zu sich nimmt und später vor dem Fernseher noch ein Rüebli knabbert. «Ich habe hier sämtliche Freiheiten, aber es ist immer jemand da, wenn nötig», sagt sie.

Für die Körperpflege braucht Liva Tresch bis jetzt noch keine Hilfe, ausser dass ihr jemand von den Angestellten abends die Augentropfen verabreicht und ihr den Rücken einreibt. Sie sei einfach glücklich und dankbar und hofft, dass ihr noch etwas Lebenszeit zum Geniessen bleibe. «So schön wie hier hatte ich es in meinem ganzen Leben noch nie.»

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