Sie ist sperrig. Das Vorspulen dauert ewig. Songs überspringen geht gar nicht. Das umständliche Prozedere wird stets von der Furcht vor Bandsalat begleitet: also dass man den Bleistift zücken und das dünne Magnetband mühsam aufrollen muss. Die Rede ist von der Musikkassette, erfunden 1963 vom Unternehmen Philips. 60 Jahre alt wird sie dieses Jahr.
Zu seinem runden Geburtstag erlebt der antike Tonträger gerade sein Revival.
Auf Ricardo, dem führenden Onlinehändler für Secondhandangebote in der Schweiz, haben sich die Kassettenverkäufe seit 2019 mehr als verdoppelt. Dieses Jahr wechselten pro Monat bis zu 1000 Kassetten den Besitzer.
Retro ist in. Schallplatten und neonfarbene Trainerjacken haben die Popkultur zum zweiten Mal im Sturm erobert. Kassetten und Walkman – das kleine, tragbare Gerät, das sie abspielt – treten immer wieder in Filmen und Serien auf, etwa im Kinoschlager «Guardians of the Galaxy» oder in der beliebten Netflix-Serie «Stranger Things».
Teure Geräte
Die Preise für Modelle, die noch funktionieren, stiegen in schwindelerregende Höhen – je nach Zustand und Zubehör auf bis zu 2000 Franken. Auf Ricardo sind aus den rund 25 Stück pro Monat, die 2019 den Besitzer wechselten, inzwischen 50 geworden. Durchschnittspreis: 100 Franken. Wenn der Spieler frisch aus dem Service kommt, liegt der Preis meist deutlich höher. Weniger kultige Player ohne Garantie kosten um die 50 Franken.
Dass die historischen Gerätschaften derart gesucht sind, ist kein Zufall. Will man guten Sound aus einer Kassette kitzeln, braucht es einen guten Spieler. Dann übertreffen Kassetten sogar die Wiedergabequalität von einfachen Streamingdiensten wie Spotify.
Der Walkman von Sony, einst der Goldstandard für portable Kassettenspieler, wird seit 2010 nicht mehr hergestellt. Die hochwertigen Abspielmechaniken von früher sind nicht mehr erhältlich.
Bands von heute auf Tonträgern von gestern
Wer sich für Kassetten interessiert, ist nicht auf alte Alben angewiesen. Die Band Rammstein etwa wird die kürz-lich angekündigte Jubiläums-Edition ihres Bestsellers «Sehnsucht» auf Audiokassette veröffentlichen. Der Schweizer Dancehall-Künstler Stereo Luchs gab die letzten beiden Alben auf Kassette heraus. An einem Zürcher Hardcore-Konzert im April boten drei von vier Bands ihr Album ausschliesslich auf Kassette an.
«Wir verkaufen Audiokassetten im mittleren zweistelligen Bereich pro Woche», sagt Philippe Stuker, Geschäftsleiter von CeDe.ch, einem führenden Schweizer Versandhandel für Tonträger. Die Tendenz sei steigend: «Gerade in den Bereichen Hard ’n’ Heavy und Hip-Hop werden immer wieder Kassetten veröffentlicht. Im Hip-Hop hat das Mixtape ja eine lange Tradition», so Stuker. Die deutsche Musikindustrie vermeldete jüngst bei den Kassetten ein Umsatz-Plus von 17,4 Prozent.
Die Streamingdienste allerdings müssen sich keine Sorgen machen: Kassetten nehmen weiterhin deutlich weniger als ein Prozent des gesamten Musikmarkts ein. Aber wenn es so weitergeht, wird der Vintage-Tonträger seinen nächsten runden Geburtstag sicher noch erleben – mit vielen neuen Fans.