Wieso er besser war als Touchscreens
Ein Nachruf auf den Schalter

Kippen, drehen oder drücken: Mechanische Schalter verschwinden wegen der Touchscreens immer mehr aus unserem Alltag. Damit geht auch eine sinnliche Dimension verloren. Ein Loblied auf eine alte Technik.
Publiziert: 05.02.2022 um 12:54 Uhr
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Aktualisiert: 07.02.2022 um 14:32 Uhr
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Da war noch Handarbeit gefragt: Ein SBB-Stellwerk im Jahr 1949.
Foto: Keystone
Daniel Arnet

Im Dunkeln erwacht zuerst unser Tastsinn und macht uns feinfühlig. Finger und Füsse berühren die Umgebung und lassen sie vor unserem inneren Auge erscheinen: Ah, da sind die Pantoffeln, hier die Nachttischlampe und nebenan ihr Schalter. Klick! Es werde Licht! Jetzt können wir wieder sehen – der Gesichtssinn führt fortan Regie.

Aber für die kurze Zeitspanne zwischen Schlaf-Ende und Aufstehen sind wir auf taktile Reize angewiesen. Ohne sie spürten wir den Lichtknopf nicht und blieben im schwarzen Raum sitzen. Stellen Sie sich vor, nichts liesse sich ertasten, alles wäre glatt wie eine Fensterscheibe – es gäbe kein erhellendes Gefühl.

Genau dies ist zunehmend die Gemütslage blinder und sehbehinderter Menschen in der digitalisierten Welt mit ihren überhandnehmenden Touchscreens. Laut einer Studie des Schweizerischen Zentralvereins für das Blindenwesen (SZB) aus dem Jahr 2020 leben allein hierzulande ungefähr 377'000 sehbehinderte Personen.

Nun wenden Sie ein, dass Licht Blinden leider kaum weiterhelfe und sie deshalb keine Lampe benötigten. Wohl wahr: Ich weiss von welchen, die nachts bei der Heimkehr dem begleitenden Taxifahrer sagen, er solle beim Rausgehen gleich das Licht löschen – irgendwie komisch, aber logisch.

Denn Blinde sind es gewohnt, sich im Dunkeln behände durch die eigenen vier Wände zu tasten. Und wenn sie auch selten Lichtquellen benutzen, so müssen sie doch immer wieder technische Geräte bedienen, die zunehmend mit Touchscreens ausgerüstet sind – vom Kochherd über die Heizung bis zur Waschmaschine.

«Tausendmal berührt, tausendmal ist nix passiert …»

Solche Touchscreens sind zuweilen auch für Sehende wie ein Lottospiel: Man stochert auf dem Bildschirm herum in der Hoffnung, das richtige Feld zu treffen. Klar, meistens sind die Schaltflächen gekennzeichnet und leuchten deutlich auf, aber dafür muss das Gerät in der Regel erst einmal eingestellt sein.

Mein eleganter Drucker bringt mich so regelmässig zur Verzweiflung. Er ist schwarz und hat eine glatte Oberfläche. Ich weiss, der grau gekennzeichnete On-Off-Punkt (eben nicht Knopf!) von ungefähr einem Zentimeter Durchmesser befindet sich vorne links, aber um ihn in der Dämmerung zu treffen, muss ich meist das Zimmer erleuchten – die Fingerabdrücke rund um den Punkt zeugen von missglückten Anstell-Versuchen.

Konnte man früher blindlings hingreifen und spürte eine Kuppe oder eine Delle, so muss man jetzt genau hinschauen. Das erachtet die Forschung zusehends als Problem: Weil Touchscreens mehr und mehr in Autos wie etwa dem Tesla vorkommen und deren Bedienung permanenten Augenkontakt erfordert, sehen Fachleute ein Sicherheitsrisiko.

Und selbst wenn man genau hintippt, die Berührung garantiert keine Reaktion. Versuchen Sie mal mit einem öligen oder mehligen Finger die Schaltfläche einer Glaskeramikherdplatte zu bedienen: zum Verzweifeln! Oder haben Sie schon die Klimaanlage in einem schicken Hotelzimmer via Display einzustellen versucht? Keine Chance: Zimmerservice, bitte kommen!

Sie heissen zwar Touchscreens (frei übersetzt: Berührungsbildschirme), aber zu berühren gibt es nichts, und berührend sind sie schon gar nicht. Sie sind antiseptisch wie Plastikfolie und aalglatt wie Versicherungsvertreter – da dringt nichts ein, da kommt nichts raus: «Tausendmal berührt, tausendmal ist nix passiert …»

Im technischen Fachjargon heissen sie «berührungssensitive Bildschirme». Bei den Smartphones etwa sind die Seiten der Touchscreens mit Streifen beschichtet. Auf diesen Streifen fliesst elektrischer Strom. Die Kreuzungspunkte funktionieren ähnlich wie ein Kondensator und erzeugen elektrische Felder.

iPhone läutete Ende des Schalters ein

Wenn nun ein Finger darauf tippt, ändert sich das elektrische Feld, da die menschliche Haut ebenfalls Strom leitet. Die exakten Koordinaten lassen sich durch die Feldänderung bestimmen, somit auch die Position des Fingers – und die Information, die auf dem Berührungspunkt geschrieben steht, kommt zur Ausführung.

Diese sogenannte kapazitive Berührungsmethode beginnt ihren Siegeszug am 9. Januar 2007: Damals stellte Apple-Chef Steve Jobs (1955–2011) das erste iPhone vor und revolutionierte die bis dorthin führenden Tastenhandys von Nokia oder Blackberry. Plötzlich liess sich auf ein und derselben glatten Oberfläche ein Telefon, eine Schreibmaschine, ein Videorecorder oder eine Fotokamera bedienen.

Die neuen Bedienungselemente sind widerstandsfähiger gegen Umwelteinflüsse, besitzen keine verschleissanfälligen mechanischen Bestandteile und sind platzsparend integrierbar. Vor allem die Autoindustrie fährt auf die neue Technik ab und kann mit Touchscreens viele Schalter auf dem Armaturenbrett zum Verschwinden bringen.

Vorbei die Zeiten, in denen es einen Dreistufen-Zugschalter für den Scheinwerfer brauchte, einen Kippschalter für die Warnleuchte oder einen Drehknopf zum Einschalten des Autoradios. Nur noch das akustische Ticktack des Blinkers erinnert aus Nostalgiegründen an alte mechanische Bestandteile – er könnte längst anders tönen.

Gewiss, auch zur Bedienung des Touchscreens braucht es Fingerspitzengefühl, aber mit dem allmählichen Verschwinden der Schalter geht uns ein haptisches Erlebnis verloren. An der Stellung des Drehschalters spürte man früher gleich, ob die Herdplatte ausgeschaltet ist, und der Stufenschalter bei der Modelleisenbahn gab einem ein feines Gefühl fürs richtige Tempo.

So seltsam es klingt: Es ist, als ginge mit der Mechanik etwas Menschliches verloren. «Der Schalter» hat denn auch zwei Bedeutungen: die einer mechanischen Vorrichtung an einem elektronischen Gerät und die eines Orts, an dem eine Person Kunden bedient. Beide sind in prekären Situationen, beide sind vom Aussterben bedroht.

Wie wenn es eine Rückbesinnung gäbe, hat die Schindler Aufzüge AG zusammen mit dem SZB den Haptic Touch Panel für Displays in Liften entwickelt und letztes Jahr auf den Markt gebracht. «Trifft der Finger eine Taste, wird keine Aktion ausgelöst, sondern die Taste reagiert mit leichten Vibrationen und einem akustischen Signal», heisst es in der Beschreibung von Schindler.

Es ist, als würde der Touchscreen zum Leben erwachen.

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