«Mit der App fand ich schneller Freunde als an der Uni»
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Anjana (23) aus Barcelona:«Mit der App fand ich schneller Freunde als an der Uni»

Lydia (23) und Anjana (24) haben sich auf Bumble BFF kennengelernt
Nach Sex gibts jetzt auch Freundschaften per Swipe

Die Liebe auf Dating-Apps suchen? Völlig normal. Neue Freunde online finden? Komisch und oberflächlich. Fehlanzeige. Zwei Freundschaften beweisen das Gegenteil.
Publiziert: 07.08.2023 um 17:00 Uhr
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Aktualisiert: 07.08.2023 um 17:02 Uhr
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Haben sich in Basel auf Bumble BFF kennengelernt: Lydia (l., 23) und Anjana (24).
Foto: Philippe Rossier
Jana Giger (Text) und Philippe Rossier (Fotos)

Die einen bestehen seit der Schulzeit. Manche beruhen auf einer Begegnung, bei der sofort Vertrautheit herrscht und klar ist, dass die Beziehung noch lange halten wird. Und andere lösen sich auf wie ein Nebelmeer, das sich aus dem Tal zurückzieht. Freundschaften gibt es in den verschiedensten Formen, und sie spielen in unserem Leben eine wichtige Rolle. Gemäss einer britisch-amerikanischen Studie aus dem Jahr 2020 sogar eine gesundheitsfördernde: Sie besagt, dass Menschen, die in der Jugend enge Freunde hatten, später seltener an Depressionen und Angstgefühlen leiden. Laut den Forschenden stärken enge Freundschaften das Selbstbild und wirken sich positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung aus.

In Zeiten von Instagram und Tiktok suggeriert die Zahl der Follower: Je mehr Freunde man hat, desto beliebter und erfolgreicher ist man. Die Qualität der Freundschaften scheint dabei nebensächlich. Gleichzeitig erstaunt es wenig, dass man in der von Selbstdarstellung und von unbegrenzten Möglichkeiten geprägten Social-Media-Welt auch neue Freunde finden kann. Via Freundschaftsapps. Sie funktionieren ähnlich wie Dating-Apps, indem man ein Profil mit Fotos und Informationen über sich erstellt. Der Unterschied: Die Absicht dahinter ist rein platonisch. Bei Bumble BFF und Peanut (eine App, die nur für Frauen gedacht ist) swipt man durch eine Auswahl potenzieller Kontakte. Ein Wisch nach links bedeutet «kein Interesse», ein Wisch nach rechts heisst, «dich möchte ich kennenlernen». Bei gegenseitigem Gefallen, einem sogenannten Match, ploppt ein Fenster zum Chatten auf. Bei den Apps Gemeinsam Erleben und Meetup stehen Aktivitäten im Fokus. Es kann gezielt nach einer Gruppe fürs Outdoor-Pilates oder einen Kinoabend gesucht werden.

Aber können dabei echte und gehaltvolle Beziehungen entstehen? Zwei Freunde in Basel und zwei in St. Gallen erzählen von ihren Freundschaften.

«Lydia ist eine grossartige Zuhörerin»

Das Café Finkmüller im Kleinbasel ist an diesem Montagnachmittag Anfang Januar gut besucht. Menschen sitzen vor Laptops und aufgeschlagenen Büchern, zwei Kinder spielen mit Holzklötzen am Boden, und eine Frau holt ihre Lismete aus der Tasche. Lydia (23) und Anjana (24), die sich die Hände an den warmen Kaffeetassen wärmen, zogen beide im Sommer 2021 in die Stadt am Rhein. Lydia wuchs im Thurgau auf und bekam hier eine Praktikumsstelle. Anjana lebte in Barcelona (Spanien), bevor sie an der Uni Basel für einen Masterstudiengang in Politikwissenschaften akzeptiert wurde. Eine fremde Umgebung, ein neues Zuhause und viele unbekannte Gesichter – beide fühlten sich etwas einsam.

Lydia (23, l.) und Anjana (24) im Café Finkmüller in Basel.
Foto: Philippe Rossier

Auf den Vorschlag ihres Freundes hin erstellte Lydia auf Bumble BFF ein Profil. Ungefähr zeitgleich wie Anjana, die die App bereits von Freunden aus Barcelona kannte und in der Vergangenheit auch schon Erfahrungen mit Dating-Apps gemacht hat. Ihr war das Konzept vertraut. Ebenso die Oberflächlichkeit, die auf solchen Apps dominiert. Bei Bumble BFF sei ihr das noch deutlicher bewusst geworden. «Du entscheidest anhand von ein paar Fotos und Infos, ob du jemanden sympathisch findest oder nicht», sagt sie. «Es kann sein, dass du auf der App eine Person ablehnst, obwohl du dich im realen Leben richtig gut mit ihr verstehen würdest.» Anders als bei einer romantischen Beziehung spielt die Attraktivität unter Freunden keine Rolle. Doch die App rücke das Aussehen einer Person so stark in den Vordergrund, dass es unbewusst das Auswahlkriterium beeinflusse, findet Anjana.

Sie und Lydia hatten Glück. Bei ihnen war sowohl der erste Eindruck auf der App als auch das persönliche Treffen ein Erfolg. Sie schrieben ein bisschen hin und her, bevor sie sich vor etwas mehr als einem Jahr an der Herbstmesse in Basel auf einen Glühwein trafen. «Ich war sehr nervös», erinnert sich Lydia. Sobald sie angefangen hätten zu reden, sei die Anspannung allerdings verflogen und ihr Treffen total ungezwungen gewesen. Sie redeten und redeten, sodass aus einem Glühwein mehrere wurden. «Ich habe nicht erwartet, dass das Treffen so lange dauern würde, aber Anjana fühlte sich sofort an wie eine Freundin.»

«Lydia ist eine grossartige Zuhörerin, was ich sehr schätze», sagt Anjana (r.).
Foto: Philippe Rossier

Über weitere Abende mit Wein und tiefgründigen Gesprächen, Shoppingtouren durch Brockis und heisse Sommertage am Rhein entwickelte sich zwischen den beiden eine enge Freundschaft. «Lydia ist eine grossartige Zuhörerin, was ich sehr schätze», sagt Anjana. Als sie letztes Jahr eine schwierige Zeit durchgemacht habe, sei Lydia eine grosse Hilfe gewesen. «Ich durfte bei ihr übernachten und konnte mit ihr über viele Dinge reden», sagt sie. «Das hat unsere Freundschaft nochmals auf ein anderes Level gehoben.»

Obwohl Lydia nach ihrem einjährigen Praktikum wieder in den Thurgau gezogen ist und aktuell ein WG-Zimmer in Zürich sucht, stehen Anjana und sie in ständigem Kontakt. Als sie sich nach dem Gespräch voneinander verabschieden, sehen sie für die anderen Menschen im Café aus wie zwei Freundinnen, die sich an der Uni kennengelernt haben könnten.

«Wir sind beide verrückt nach den Bergen»

Bei Stefan (44) und Jessica (31) würden manche denken, dass sie ein Paar sind. «Wahrscheinlich, weil wir uns manchmal anzicken wie ein altes Ehepaar», sagt Stefan, betont aber, dass sie nur Freunde sind. Er erinnert sich noch genau an den Moment, als er Jessica im appenzellischen Gais AR am Bahnhof zum ersten Mal traf. «Die sieht aber ausgeflippt aus», schoss es ihm durch den Kopf. Ihre Haare waren vorne wasserstoffblond und hinten schwarz gefärbt. Beim Blick auf ihre Schuhe musste er schmunzeln. Converse. Um wandern zu gehen. «Du hast gesagt Turnschuhe, das sind für mich Turnschuhe», sagt Jessica lachend zu Stefan, als die beiden drei Jahre später, Ende Dezember 2022, bei der Talstation Tannenboden am Flumserberg zu einer Schneeschuhwanderung aufbrechen. An den Füssen trägt Jessica jetzt Trekkingschuhe. Und zwischen ihr und Stefan hat sich eine enge Freundschaft entwickelt. Eine Freundschaft, die über die App Gemeinsam Erleben – damals noch Spontacts – entstanden ist.

Sind seit drei Jahren gute Freunde: Stefan (44) und Jessica (31).
Foto: Philippe Rossier

Jessica ist während der Pandemie darauf aufmerksam geworden, als sie Leute gesucht hat, um wandern zu gehen. Eine Kollegin empfahl ihr die App. Nach einer ersten Wanderung schloss sie sich der Gruppe von Stefan an, der regelmässig Touren organisiert. Die beiden haben sich in Gais von Anfang an so gut verstanden, dass für Jessica klar war: Ab jetzt wandere ich nur noch mit ihm. Stefan erwidert: «Das ist bei ihr nicht selbstverständlich.» Sie gehe nicht so gern auf andere Menschen zu, brauche etwas länger, um sich zu öffnen, sagt Jessica. Anders als bei ihrer Arbeit in der Pflege, wo ihr der Umgang mit anderen Menschen ganz leichtfalle.

Mittlerweile veranstalten Jessica und Stefan auch Spielabende oder gehen mit einem weiteren Freund, den sie über die App kennengelernt haben, in die Ferien. Das gemeinsame Hobby hat sie zusammengeschweisst. «Wir sind beide verrückt nach den Bergen», sagt Jessica. Mithilfe von Stefan hat sie sich sogar ihrer Höhenangst gestellt und an Klettersteige gewagt. Er ist überzeugt: Dass über eine App eine so tiefgründige Freundschaft entsteht wie bei ihnen, ist eine Seltenheit.

In den sechs Jahren, die Stefan auf Gemeinsam Erleben aktiv ist, hat er auch negative Erfahrungen gesammelt. Unangenehme Begegnungen, bei denen er sofort gemerkt hat, dass sich daraus keine Freundschaft entwickelt. Als er und Jessica auf dem Flumserberg aus der Gondel steigen und die Schneeschuhe fixieren, stossen zwei Männer hinzu. Neue Bekanntschaften von der App, die heute das erste Mal mit Stefan und Jessica unterwegs sind. Ob sich das Vierergespann wohl versteht? Der Weg in Richtung Spitzmeilenhütte wird es zeigen.

Das gemeinsame Hobby hat sie zusammengeschweisst. «Wir sind beide verrückt nach den Bergen», sagt Jessica.
Foto: Philippe Rossier

«Die Beziehung muss im realen Leben bestehen»

Einer, der sich intensiv mit Freundschaften auseinandersetzt, ist Dr. Steve Stiehler (54). Er forscht an der Ostschweizer Fachhochschule zu dieser Beziehungsform, die sich «stark an die gesellschaftlichen Bedingungen anpasst». Deshalb überrascht es ihn nicht, dass man Freunde heutzutage online finden kann. «In unserem hoch individualisierten und von Mobilität geprägten Leben bieten solche Apps eine gute Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen.» Weil die Menschen permanent Entscheidungen treffen müssen, was von Unsicherheit begleitet ist, sehnen sie sich laut Stiehler nach Halt und Orientierung. Etwas, das Freunde bieten können. «Sie sind wie ein Anker und haben neben dem romantischen Partner heutzutage eine grosse Bedeutung.»

Um auf den Apps wirklich enge Freunde zu finden, reiche die schriftliche Kommunikation aber nicht. Denn für Freundschaft brauche es einen gemeinsamen Erfahrungsschatz. «Apps formen den Weg dahin, aber die Beziehung muss im realen Leben bestehen», sagt der Experte. Bei einem persönlichen Treffen stelle sich heraus, ob sich jemand authentisch auf der App präsentiert. Vergleichbar mit Online-Dating: Was sich auf dem Bildschirm beschönigen lässt, wird spätestens dann entlarvt, wenn man der Person gegenübersteht.

Einen grossen Nutzen von Freundschaftsapps sieht Stiehler in Momenten, in denen der Freundeskreis dünner wird. «Während das soziale Netzwerk in der Jugend ziemlich gross ist, schwindet es mit dem Alter», sagt er. Die Gründe sind veränderte Prioritäten, Umzug, Elternschaft, Krankheit oder Tod. Gemäss Forschern der finnischen Aalto-Universität und der britischen Oxford-Universität verkleinert sich der Kreis enger Freunde ab dem 25. Lebensjahr. Sie bezeichnen dieses Alter deshalb als einen Wendepunkt im Leben. Gleichzeitig festigen sich unsere Interessen mit zunehmendem Alter, sagt Stiehler. Ein Vorteil für Freundschaftsapps: Anhand der übereinstimmenden Hobbys kristallisiere sich schnell heraus, mit wem man sich verstehen könnte.

Obwohl für den Experten die Vorteile von Freundschaftsapps überwiegen, haben sie auch Kehrseiten. «Wenn Menschen, die sehr wenige soziale Kontakte haben, ihre Hoffnung in diese App stecken und mehrmals enttäuscht werden, dann ist das ein Anlass, sich noch mehr zurückzuziehen.» Wie bei Dating-Apps gibt es also auch bei Freundschaftsapps ein Risiko. Man stellt sich zur Schau und kann abgelehnt werden. Stiehler vermutet, dass die Apps für kontaktfreudige Menschen, die wissen, wie sie sich präsentieren, eine Bereicherung sind. Bei Menschen hingegen, die nicht wissen, wie man Kontakte knüpft, ist er skeptisch, ob solche Apps zu neuen Freunden führen.

Auf dem Flumserberg sind Stefan und Jessica mittlerweile an der Spitzmeilenhütte angekommen, wo es zur Stärkung eine Suppe gibt. Mit den zwei neuen Kollegen verstehen sie sich richtig gut. So gut, dass einer von ihnen Ende Januar wieder an einer Wanderung teilnimmt. Dann heisst das Ziel Selun – einer von sieben Berggipfeln am Churfirsten.

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