Darum gehts
- Führungsvakuum im Vatikan nach Tod von Papst Franziskus: 1,4 Milliarden Christen ohne Oberhaupt
- Papst ist Staatsoberhaupt der Vatikanstadt und des Heiligen Stuhls mit globaler Bedeutung
- Franziskus ernannte Kardinäle aus kleineren Verwaltungsbezirken, was das Konklave unvorhersehbar macht
Im Vatikan herrscht derzeit ein Führungsvakuum. Nach dem Tod von Papst Franziskus am Ostermontag stehen 1,4 Milliarden Christinnen und Christen ohne ihr symbolisches Oberhaupt da.
Papst Franziskus (†88) war aber nicht nur Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, sondern auch Staatsoberhaupt zweier völkerrechtlich relevanter Entitäten: der Vatikanstadt und des Heiligen Stuhls, des Kerns der christlichen Weltkirche. «Diese Vernetzung geht weit über die eines rein religiösen Führers hinaus», sagt Urs Brosi, Generalsekretär der römisch-katholischen Zentralkonferenz.
Der Papst hat Sitze in Uno-Gremien, empfängt Staatsoberhäupter und äussert sich zu globalen Fragen wie Migration, Umwelt oder Armut.
Laut Brosi war Franziskus ein moderner Papst, er stiess unter anderem den synodalen Prozess an. So erliess er eine Befragung, um die Nöte, Sorgen und Stimmung der Kirchenmitglieder zu erfassen. Dafür wollte er nicht die Meinung der Bischöfe, sondern die der Menschen. «Das wäre vor ein paar Jahrzehnten noch undenkbar gewesen», meint Brosi.
Die Geschichte zeigt aber: Auf ein progressives Pontifikat folgte nicht selten ein konservativer Papst – so geschehen 1978 mit dem Wechsel von Paul VI. zu Johannes Paul I. Wird das Pendel nun zurück in eine konservative Richtung schlagen? Brosi meint: «Grundsätzlich kann jeder neue Papst alles wieder zurückdrehen. Was Franziskus angestossen hat, ist aber tief in den Menschen verankert.»
Eine Frage des Kompromisses
Die Papstwahl – das Konklave – steht an. Vorher findet das Vorkonklave statt, ein informeller Austausch der wahlberechtigten Kardinäle, vergleichbar mit der Wandelhalle im Schweizer Bundeshaus. Potenzielle Kandidaten werden bereits heiss diskutiert.
Gerade in Fragen der Frauenrechte oder Homosexualität sind viele nicht-europäische Kandidaten deutlich zurückhaltender als ihre europäischen Kollegen. Ein polarisierender Vertreter des konservativen Flügels bei dieser Wahl ist der guineische Kardinal Robert Sarah (79). Er wäre der erste afrikanische Papst seit Jahrhunderten. Progressiv wäre er für die Kirche aber nicht. «Aus Afrika kommen derzeit viele Stimmen, die sehr konservativ sind», sagt Brosi.
Nicht-europäische, progressive Kandidaten sieht Brosi eher in Asien. Ein Kandidat, der lange als Franziskus' Nachfolger gehandelt wurde, ist der philippinische Kardinal und Erzbischof von Manila, Luis Antonio Tagle (67). Brosi betont, dass es wieder eine Persönlichkeit wie Franziskus brauche: «Jemand, der empathisch ist, nicht dogmatisch.»
Zur Papstwahl braucht es Kompromissfiguren
Die Chance, dass Sarah oder ein stark progressiver Kandidat das Amt erhält, sei aber gering. Denn für eine Wahl benötigt man die Zweidrittelmehrheit. «Das führt dazu, dass kaum ein Lager allein seinen Wunschkandidaten durchbringt», so Brosi. Es braucht Kompromissfiguren, auf die sich alle einigen können.
Wie die Wahl aber ausgeht, wagt der Experte nicht vorherzusagen. Rein schon aufgrund der Komplexität. Franziskus hat zahlreiche neue Kardinäle ernannt, jedoch nicht traditionell aus kirchlichen Spitzenämtern, sondern aus kleineren Verwaltungsbezirken. Zum Beispiel ernannte er 2016 anstelle des Bischofs von Mailand den Bischof von Como, Oscar Cantoni (74), zum Kardinal.
«Viele von Franziskus’ Kardinälen sind im vatikanischen Machtgefüge noch wenig vernetzt, was das Konklave spannend, aber auch unvorhersehbar macht», erklärt Brosi.
Die Bedeutung des Papstamts geht weit über die religiöse Funktion hinaus. Er ernennt Bischöfe, gestaltet Kirchenrecht und ist Symbolfigur für das gesamte Christentum. Auch protestantische Kirchen spüren indirekt die Wirkungen seiner Entscheidungen – in der Schweiz etwa steigen nach umstrittenen Aussagen des Papstes nicht selten die Austrittszahlen auch bei Reformierten. «Für viele Menschen verschwimmen die konfessionellen Grenzen», sagt Brosi. Der Papst sei längst eine moralische Weltinstanz geworden.