Professor Vetterli über verantwortungsvollen Nachwuchs in der Wirtschaft
Systeme in Balance

Martin Vetterli ist Präsident der EPFL in Lausanne und Professor für Informatik. Er findet: Nicht nur technische Systeme müssen nachhaltig funktionieren – sondern auch unser Wirtschaftskreislauf. Dafür brauche es verantwortungsvollen Führungsnachwuchs.
Publiziert: 30.10.2021 um 16:24 Uhr
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Martin Vetterli ist Präsident der EPFL in Lausanne und Professor für Informatik.
Foto: François Wavre | lundi13
Martin Vetterli
Martin VetterliPräsident der EPFL Lausanne

Vor rund 250 Jahren meldete der schottische Ingenieur und Maschinenbauer James Watt seine Dampfmaschine zum Patent an – und läutete damit das Zeitalter der Industrialisierung ein. Die ersten dampfgetriebenen Maschinen gingen zwar schon früher in Betrieb, Watt hat sie aber radikal verbessert. Sein Meisterwerk: der Fliehkraftregler zur automatischen Einstellung der Dampfmenge.

Das Prinzip ist einfach. Der Regler besteht aus zwei Kugeln, die sich karussellartig um eine Achse drehen. Der Dampf treibt das Karussell an. Je mehr Dampf produziert wird, desto schneller drehen die Kugeln. Durch die Fliehkraft drängen sie nach oben und aussen. Erreichen sie einen kritischen Punkt, bedienen sie dabei gleichzeitig ein Ventil, das Dampf entweichen lässt. Folglich lässt der Dampfdruck nach, das Karussell verlangsamt, die Kugeln sinken und das Ventil schliesst sich wieder. Das Spiel beginnt von vorne.

Der beschriebene Regelkreis wird in der Fachsprache als negative Rückkopplung oder auch Gegenkopplung bezeichnet. Ziel der negativen Rückkopplung ist die Stabilisierung eines Systems: Abweichungen von einem gewünschten Wert werden fortwährend korrigiert.
Wer das Beispiel der Dampfmaschine nicht mag, kann sich auch eine Autofahrt auf einer geradlinigen Strasse vorstellen. Dank einem ausgeklügelten Zusammenspiel von visueller Wahrnehmung und Motorik nehmen wir während der Fahrt fortlaufend kleine Korrekturen vor – oder anders gesagt: geben Gegensteuer, um in der gewünschten Spur zu bleiben.

Selbstverständlich gibt es auch positive Rückkopplungen. Darunter versteht man Prozesse, die sich selbst verstärken. Sie führen in der Regel zu unerwünschten Effekten. Bekanntes Beispiel ist das Dröhnen und Pfeifen einer übersteuerten Lautsprecher-Anlage: Töne werden über das Mikrofon in einen Lautsprecher eingespeist und von dort entsprechend verstärkt in den Raum zurückgeschmettert – wo sie wieder auf das Mikrofon treffen. Ohne Eingriff schaukelt sich der praktisch endlose Kreisprozess so lange auf, bis die Lautsprecher in Rauch aufgehen.

Das Paradox: Während wir unseren Ingenieurstudentinnen und -studenten beibringen, Systeme nachhaltig zu stabilisieren, basiert die gängige Marktwirtschaft noch immer weitgehend auf ungeregeltem Wachstum durch positive Rückkopplungsmechanismen. Indem sie laufend neue Bedürfnisse erzeugt, heizt sie sich sozusagen selber an. Die Folgen für das Klima und die Umwelt sind bekannt.

Eine profitable Wirtschaft, ohne unsere Lebensgrundlage zu destabilisieren, ist möglich, braucht aber einen radikalen Wandel unserer Art des Wirtschaftens. Zusammen mit der Universität Lausanne und dem IMD bietet die EPFL darum seit diesem Jahr einen neuen Master namens «Nachhaltiges Management und Technologie» an. Ziel ist es, verantwortungsvolle Führungskräfte auszubilden, die in der Lage sind, Wirtschaftskreisläufe nachhaltig zu gestalten, ohne dass gleichzeitig die Profite beschnitten werden. Der Studiengang vermittelt das dazu nötige Rüstzeug in Technologie und Management. Ein Kurs zum Thema Rückkopplung gehört selbstverständlich auch dazu.

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