In einem ETH-Labor, mitten in dem labyrinthischen Gebäude, haben zwei junge Frauen ein Material entwickelt, das gleich mehrere Industrien revolutionieren und die beiden so richtig, richtig reich machen könnte. Die Aargauerin Julia Carpenter (32) hat Materialwissenschaften an der ETH studiert und dort im Jahr 2022 doktoriert.
Schon im Rahmen ihres Doktorats hat sie sich entschlossen, eine Firma zu gründen: Apheros, benannt nach der schaumgeborenen griechischen Schönheitsgöttin Aphrodite und nach Ferrum, der lateinischen Bezeichnung für Eisen. Der Name passt, denn Carpenter stellt mit ihrer Geschäftspartnerin Gaëlle Andreatta (41), einer französischen Chemikerin, die aktuell an der Universität St. Gallen zusätzlich ein Wirtschaftsstudium absolviert, eine Art Schaum her, sozusagen Meringues aus verschiedenen Metallen. Und wie Aphrodite, die als Göttin der Schönheit und der Liebe als unwiderstehlich gilt, trifft auch das Start-up bereits auf viel Liebe seitens Investoren und der Industrie.
Der Metallschaum wird gebacken
Doch zunächst zum Produkt: Das von Carpenter erfundene Verfahren sei tatsächlich ungefähr so, wie Meringues herzustellen, erklärt sie: «Man kauft Eisen-, Nickel- oder Kupferpartikel, addiert etwas Magie, verrührt das Ganze, das könnte man auch mit einem Haushaltsmixer tun, erhält einen Schaum, füllt den in die gewollte Form und backt ihn – fertig.»
Was so einfach klingt, ist ungleich komplizierter, die erwähnte Magie ist ein geheimer, ausgeklügelter chemisch-physikalischer Prozess, der dafür sorgt, dass Carpenter und Andreatta die Grösse der «Bläschen» in ihren Metall-Meringues mikrometergenau kontrollieren können – und damit auch die gewünschten Eigenschaften ihrer Produkte. Diese eignen sich je nach Bläschengrösse und verwendetem Metall für höchst unterschiedliche Anwendungen. Aktuell existieren Produkte aus Kupfer, Eisen, Nickel und rostfreiem Stahl.
Diverse Märkte stehen weit offen – Apheros nimmts cool
Rund einen bis maximal fünf Zentimeter lang und vielleicht fünf Millimeter breit sind die aktuell so entstehenden Plättchen mit den neuartigen Eigenschaften. Eine optisch unscheinbare Sache. Was hingegen das technologische und wirtschaftliche Potenzial angeht, sind die Möglichkeiten riesig. So riesig, dass sich Carpenter und Andreatta aussuchen können, auf welche Anwendungen sie sich zuerst konzentrieren: Kühlung ist die eine. Computer, Klimaanlagen, Akkus, Transformatoren – Strecken, die Elektronen «durchlaufen» – erhitzen sich: Also alles Elektronische muss gekühlt werden und sorgt so für einen grossen Energieverbrauch.
Da die Apheros-Plättchen im Vergleich zu bereits existierenden Kühlungsmaterialien dank der Bläschen zu circa 90 Prozent aus Luft bestehen, verfügen sie insgesamt über eine riesige Oberfläche im Vergleich zum geringen Gewicht und zu den geringen Massen – rund tausendmal mehr als bislang erhältliche Materialien. Und deshalb eignen sie sich für vielfältige Anwendungen. Etwa für einen Wärmeaustausch, also zum einen wie gesagt zum Kühlen, zum anderen aber, je nach Anwendungsbereich, auch zum Wärmespeichern, Heizen oder zur Elektrolyse – doch dazu später mehr.
Denn nur schon im Marktsegment Kühlung sind die Anwendungen unzählig. Dreimal effizienter und dazu noch günstiger seien ihre Produkte gegenüber der Konkurrenz, sagen Carpenter und Andreatta. Kein Wunder, rennen ihnen die Kunden die Tür ein. Aktuell beschränken sich Carpenter und Andreatta auf Kühlungselemente, für die sie bereits schweizerische und sehr grosse internationale Konzerne als Kunden gewinnen konnten. Die grossen internationalen Konzerne – so viel dürfen die Jungunternehmerinnen verraten – sind zum Beispiel im Bereich der Konsumgüter unterwegs. In jeder Autokühlanlage, in jeder Klimaanlage, in jedem Heizsystem, in jedem Computer, Server oder Handy etc. könnte also bald ein Stück Apheros drinstecken.
Alle wollen Apheros
Carpenter und Andreatta, die ihr Start-up erst im August 2023 gründeten, beschäftigen knapp sechs Monate später fünf Wissenschaftler plus zwei Praktikanten aus so diversen Ländern wie Deutschland, Spanien oder Thailand. Die sind wiederum bereits so ausgelastet, dass sie in nächster Zukunft durch einige weitere Angestellte ergänzt werden: Aktuell hat Apheros Stellen ausgeschrieben.
Auch sonst stehen die Zeichen auf steiles Wachstum: Nicht nur wurden Carpenter und Andreatta mit Start-up-Fördergeldern nahezu überschüttet, eine zweite Investorenrunde steht bereits an. Die Liste der Kooperationen klingt wie das Who's who aus Forschung und Technik: Die Materialforschungsanstalt Empa arbeitet mit den beiden, das renommierte deutsche Fraunhofer-Institut, und, besonders spektakulär, der sogenannte «Business Incubator» der europäischen Raumfahrtsorganisation ESA.
So klingt denn auch ihr Zehnjahresplan nach einer Art Weltherrschaft: Markterschliessung Kühlsysteme geschieht bereits, im nächsten Stadium, also in etwa zwei Jahren, will sich Apheros der Entwicklung von Komponenten widmen, die bei der Elektrolyse im Zusammenhang mit der Herstellung von Wasserstoff – dem Energieträger der Zukunft – zum Einsatz kommen. Auch dies ein riesiges Feld mit allergrösstem Zukunftspotenzial. Und längerfristig sehen die beiden Firmengründerinnen zudem grosse Möglichkeiten im Energiespeicher-Bereich, etwa bei wiederaufladbaren Batterien.
Die Zeichen stehen auf Wachstum
Angetrieben sind die beiden Wissenschaftlerinnen vom Gedanken der Nachhaltigkeit und der Energieeffizienz: Ihr Produkt ist günstiger als die Konkurrenz, und das Potenzial zur Energie- und CO₂-Einsparung ist riesig, wird ihr Produkt erst flächendeckend in diversen Produkten angewendet.
Zumindest, was Nachhaltigkeit betrifft, ist Julia Carpenter damit trotz allem nicht ganz zufrieden. «Hätten wir unlimitierte Mittel, würden wir gleich die ganzen Lieferketten optimieren und neu gestalten», sagt sie. Dass sie einem ineffizienten, anfälligen System ausgeliefert sind, ärgert sie. Um Lieferwege kurz zu halten, wird Apheros für die ersten schweizerischen und europäischen Kunden auch die Produktion grösstenteils in bereits existierenden Schweizer Fabriken und Laboratorien abwickeln – und hierzulande so noch mehr Arbeitsplätze schaffen.