In der Schweiz gibt es Orte, an denen Dinge zu finden sind, die zumindest für Normalbürger klingen, als wären sie Märchenschätze. Pilze, die wertvoller sind als Gold, Zauberspiegel, die Licht in Energie für alle umwandeln, oder magische Salben, die eine rasend schnelle Wundheilung ermöglichen. Einer der Orte, an dem solche Dinge zu finden sind, ist die Empa, die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt. Hier in Dübendorf ZH entstehen einige der Dinge, womit die Schweizer Forschung weltweit die Zukunft mitprägt. Vier neue Projekte stellt das SonntagsBlick Magazin vor.
Pilze für klares Wasser
Für Förster und Gartenbesitzer ist er ein Albtraum: Der Pilz Hallimasch kann Bäume in kurzer Zeit parasitieren und deren Holz zerstören und ist dabei kaum totzukriegen. Ein Exemplar im US-Bundesstaat Oregon ist das grösste und älteste Lebewesen der Erde. Es durchzieht mit seinem Mycel, also einer Art Pilzwurzel, ein Gebiet von mehreren Quadratkilometern – seit rund 2400 Jahren! Seine Langlebigkeit verdankt der Pilz einem Schutzmechnismus: Hallimasch produziert zu seinem eigenen Schutz Melanin, das Pigment, das auch unsere Haut vor Sonnenbrand schützt und für die Bräunung der Haut verantwortlich ist. Empa-Forschern ist es nun gelungen, diese Melaninproduktion via den Pilz zu isolieren. Denn Melanin schützt nicht nur Pilzmycele und unsere Haut vor Umwelteinflüssen, es kann auch zur Reinigung eingesetzt werden. Da es die Fähigkeit hat, Schwermetalle zu bilden, «verweben» es die Empa-Forscher sozusagen zu Nanofasern – der so gewonnene «Stoff» reinigt Wasser, das durch ihn durchläuft, von giftigen Schwermetallen wie Blei.
Kleber für Wundheilung
Hässliche Narben bei grösseren Wunden könnten bald der Vergangenheit angehören – wenn das ETH- und Empa-Start-up Anavo mit seinem Wundkleber die Marktreife schafft. Das System ist hochkomplex, klingt aber denkbar einfach: Statt grosse Wunden, die eine Hauttransplantation brauchen, zu nähen, klebt man die Haut ganz einfach auf die Wunde drauf. Eine anorganische, also mineralische Nanopartikel-Lösung direkt auf die Wunde sorgt dafür, dass die Wundheilung angeregt wird, und wirkt zugleich antimikrobiell, also entzündungshemmend. Je nach Ort der Wunde und Tiefe der Verletzung kann die Lösung angepasst werden – je nach Rezeptur binden sich die Nanopartikel gut an Knochen- oder an Weichgewebe und fördern zudem erst noch die Blutgerinnung. Anavo um den Forscher Tino Matter und den Betriebswirtschafter Sebastian Loy hat 2020 den Empa Innovation Award gewonnen.
Treibstoff aus der Sonne
Bereits vor einem Jahr haben wir über die Möglichkeit berichtet, nur mithilfe von Parabolspiegeln, einem Keramikbehälter, der unglaublich hohe Temperaturen aushält, und einer Art Nanoschwamm auf der Basis von Holzfasern Treibstoff aus der Luft herzustellen. Alles, was es braucht, ist eine hohe Sonneneinstrahlung. Mittels Parabolspiegeln kann dieses Licht so gebündelt werden, dass die entstehenden Temperaturen das CO2 in der Luft und den darin gelösten Wasserdampf aufspalten und sozusagen neu verbinden. In einem mechanischen Verfahren entsteht so eine Art künstliches Benzin, Synhelion genannt, welches genauso verwendet werden kann wie normales Benzin, das aber klimaneutral ist. Eine Versuchsanlage funktioniert schon längst, einziges Problem: die Produktion möglichst kostengünstig hochzufahren. Das ehrgeizige Ziel der Spin-off-Firma Synhelion: das gesamte für den Flugverkehr erforderliche Kerosin zu ersetzen. Nun hat das Forschungsteam um ETH-Professor Aldo Steinfeld in Zusammenarbeit mit der Empa-Forschungsgruppe um Materialforscher Gurdial Blugan einen weiteren Meilenstein entwickelt: einen keramischen Hochleistungsspeicher, der Solarenergie für die Nacht speichert, damit die Anlagen rund um die Uhr betrieben werden können. Der Bau einer Grossanlage kann somit 2022 beginnen, ab 2023 sollen erste Partner, wie etwa der Flughafen Zürich und die Lufthansa, mit Synhelion fliegen.
Strom aus der Jacke
Unsere Gesellschaft ist hungrig nach Strom: Unsere Handys, Tablets und Laptops benutzen wir unterwegs genauso oft wie zu Hause – und möchten sie deshalb auch unterwegs aufladen können. Da liegt der Gedanke nahe, Strom ebenfalls mobil zu produzieren – via unsere Kleidung. Ein interdisziplinäres Empa-Forschungsteam «Biomimetische Membranen und Textilien» um Luciano Boesel macht genau dies möglich: In eine luft- und wasserdampfdurchlässige Silikon-Hydrogel-Polymermasse, wie wir sie von Kontaktlinsen kennen, bringt Boesel eine Art flexible Mikro-Solarkonzentratoren ein, welche via Sonnenlicht Strom gewinnen. Die so bestückte Polymermasse kann dann auf Textilien aufgetragen werden, wobei diese durchlässig bleiben – man schwitzt also nicht. Bis zur Markteinführung solcher Textilien ist es noch eine Weile hin, aber die Grundlagenforschung zeigt: Das Prinzip funktioniert.