Spannende Theorien
Warum haben Frauen eigentlich einen Orgasmus?

Der weibliche Orgasmus ist schön und mysteriös. In der Forschung ist man sich uneinig, weshalb er existiert. Welche wissenschaftlichen Theorien es gibt und wie plausibel diese sind, weiss Sexologin Dania Schiftan.
Publiziert: 15.01.2024 um 20:01 Uhr
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Aktualisiert: 28.08.2024 um 15:38 Uhr
Der Höhepunkt der Frau ist aus biologischer Sicht schwer zu erklären.
Foto: Getty Images
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Jana GigerRedaktorin Service

Das berauschende Kribbeln, das sich beim Sex im Körper einer Frau ausbreitet, stellt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor ein Rätsel. Denn für die Fortpflanzung ist der weibliche Orgasmus nicht entscheidend. Anders als der Höhepunkt des Mannes, der meist dafür sorgt, dass Millionen von Spermien in Richtung Eizelle schwimmen. «Bis anhin standen vor allem Männer im Fokus der Forschung, weshalb vergleichsweise wenig über die weibliche Sexualität bekannt ist», sagt Dania Schiftan, Sexologin und Psychotherapeutin aus Zürich. 

Vor ein paar Jahren haben eine Evolutionsbiologin und ein Evolutionsbiologe den Ursprung des weiblichen Orgasmus allerdings genauer untersucht und eine überraschende Theorie aufgestellt.

War der Orgasmus mit dem Eisprung verknüpft?

Günter Wagner von der US-amerikanischen Universität Yale und Mihalea Pavlicev von der österreichischen Universität Wien gehen davon aus, dass der weibliche Orgasmus früher den Eisprung ausgelöst haben könnte. Somit soll er einst essenziell gewesen sein für die Fortpflanzung. Die Forschenden kamen 2016 basierend auf tierischen Studien zu diesem Schluss. Denn bei anderen Säugetieren wie Kaninchen oder Katzen funktioniert es genau gleich: Die Weibchen brauchen einen Orgasmus, damit sie einen Eisprung haben und eine Befruchtung erfolgen kann.

Wagner und Pavlicev vermuten, dass der Orgasmus der Frau deshalb ein evolutionäres Überbleibsel ist. Erst im Laufe der Evolution soll bei den Primaten der Menstruationszyklus entstanden sein, wie ihn die Frauen heute haben. Dabei findet der Eisprung jeweils einmal im Monat statt – unabhängig von einem Orgasmus.

Um ein Kind zu bekommen, ist der weibliche Orgasmus nicht nötig – früher könnte das anders gewesen sein.
Foto: Getty Images

Ob die Theorie von Wagner und Pavlicev stimme, sei nicht abschliessend geklärt, sagt Schiftan. «Die Forschenden stellen selbst fest, dass es für eine klare Bestätigung noch weitere Untersuchungen braucht.» Zudem sei unklar, inwiefern die tierischen Studien auf den Menschen übertragbar seien.

Expertin für Fragen rund um Sex

Dania Schiftan arbeitet seit über 16 Jahren als klinische Sexologin und Psychotherapeutin mit eigener Praxis in Zürich. Jetzt ist ihr neues Buch «Das Comeback deiner Lust» im Handel, in dem sie beschreibt, wie insbesondere Frauen die Lust auf Sex entfachen können. 2018 veröffentlichte sie den Spiegel-Bestseller «Coming Soon» und drei Jahre später folgte «Keep it coming». Schiftan hält regelmässig Vorträge und Workshops und mit «Release» hat sie ihren eigenen Podcast, in dem sie echte Therapiegespräche mit Klientinnen und Klienten führt. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann, ihren zwei Kindern und ihrem Hund in Zürich.

Miriam Kluka

Dania Schiftan arbeitet seit über 16 Jahren als klinische Sexologin und Psychotherapeutin mit eigener Praxis in Zürich. Jetzt ist ihr neues Buch «Das Comeback deiner Lust» im Handel, in dem sie beschreibt, wie insbesondere Frauen die Lust auf Sex entfachen können. 2018 veröffentlichte sie den Spiegel-Bestseller «Coming Soon» und drei Jahre später folgte «Keep it coming». Schiftan hält regelmässig Vorträge und Workshops und mit «Release» hat sie ihren eigenen Podcast, in dem sie echte Therapiegespräche mit Klientinnen und Klienten führt. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann, ihren zwei Kindern und ihrem Hund in Zürich.

Die Rolle der Muskeln und Hormone

Es existieren weitere Annahmen, die das Mysterium des weiblichen Orgasmus zu entschlüsseln versuchen. Eine davon befasst sich damit, dass sich während des Orgasmus die Vagina- und Gebärmuttermuskulatur in rhythmischen Bewegungen zusammenziehen. «Diese sogenannten Muskelkontraktionen sollen den Spermien den Weg zur Eizelle erleichtern und somit die Chance einer Befruchtung erhöhen», sagt die Sexologin. Auch dieser Theorie fehle es bisher an Evidenz.

Eine andere Annahme ist, dass die Hormone, die während eines Orgasmus ausgeschüttet werden und psychologische Funktionen haben, auch aus biologischer Sicht relevant sind. Schiftan: «Unter anderem sorgen Dopamin und Oxytocin für ein starkes Belohnungs- und Glücksgefühl.» Die positiven Emotionen könnten den Wunsch nach erneutem Sex auslösen, was den Fortpflanzungserfolg erhöhe. Zudem stärke das Kuschelhormon Oxytocin die Bindung zur Partnerin oder zum Partner.

Ob man beim Sex einen Orgasmus erlebt oder nicht, hat gemäss Expertin einen grossen Einfluss auf die sexuelle Lust.
Foto: Getty Images

Wie der Orgasmus die sexuelle Lust beeinflusst

«Obwohl es einige mehr oder weniger plausible Hypothesen gibt, kann man aktuell nicht mit Gewissheit sagen, welche biologische Funktion der weibliche Orgasmus hat», sagt die Sexologin Schiftan. Diese – eher ernüchternde – Erkenntnis dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Orgasmus der Frau unerlässlich sei. «Ein fehlender Höhepunkt beim Sex kann auf Dauer dazu führen, dass man keine Lust mehr hat, mit dem Partner zu schlafen.»

Gleichberechtigung im Bett ist gemäss Expertin deshalb zentral für die eigene Sexualität und die Beziehung. «Eine Frau soll in ihren Genuss und Orgasmus investieren.» Damit meint Schiftan: Üben, beim Sex zum Höhepunkt zu kommen. In ihrem Buch «Coming Soon – Orgasmus ist Übungssache» zeigt sie anhand verschiedener Atem- und Bewegungsübungen, wie das gelingt. 

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