Auf einen Blick
Warren Schmidt hat gerade seinen letzten Tag bei einer Versicherungsgesellschaft hinter sich und sieht sich als Rentner mit Dingen konfrontiert, mit denen er sich vorher kaum beschäftigen musste: zu viel Zeit, einem aufkommenden Gefühl der Nutzlosigkeit – und mit seiner Frau Helen, mit der er seit über 40 Jahren verheiratet ist. Dies ist die Ausgangslage des Hollywood-Blockbusters «About Schmidt» mit Jack Nicholson aus dem Jahr 2002.
Solche oder ähnliche Szenarien haben wohl viele im Kopf, wenn sie an die eigene Pensionierung denken. Was kann man tun, um dies zu verhindern? Vor allem eines: sich gut vorbereiten, sagt Urs Haldimann (77), Autor des «Beobachter»-Ratgebers «Glücklich pensioniert – so gelingt die neue Lebensphase» im Gespräch.
Herr Haldimann, laut einer Swiss-Life-Studie sind Schweizer Pensionärinnen und Pensionäre zufriedener als die arbeitende Bevölkerung. Macht Pension glücklich?
Der Stress der Arbeitswelt entfällt nach der Pensionierung. Dazu kommen die frei verfügbare Zeit und die freie Lebensgestaltung. Die Chance, dass Pension glücklich macht, ist in meinen Augen recht gross.
Gleichzeitig leidet laut Pro Senectute jede vierte Person im Alter an Einsamkeit.
Ich denke, da sprechen wir von einem höheren Alter – oder aber, wenn man nicht mehr gesund, beziehungsweise nicht mehr mobil ist, das schränkt sehr ein.
Sie glauben nicht, dass die Pensionierung ein Grund für Einsamkeit sein könnte? Die Kontakte, die man vorher täglich durch den Job hatte, fallen weg.
Im Berufsalltag hat man vielfältige Kontakte. Die muss man nun aktiv suchen und pflegen. Umso besser sollte man sich auf diesen neuen Lebensabschnitt vorbereiten.
Wie macht man das?
Vor allem, indem man sich frühzeitig mit dem Thema auseinandersetzt, und nicht erst, wenn der letzte Arbeitstag schon vor der Tür steht. Man kann Ratgeber lesen, Kurse besuchen und vor allem mit vielen Pensionärinnen und Pensionären über ihre Erfahrungen reden.
Welche Überlegungen sollte man anstellen, bevor man seine Aktentasche zum letzten Mal packt?
Es lohnt sich, die eigenen Bedürfnisse zu analysieren. Welche davon erfüllt der Arbeitsplatz? Da wäre zum Beispiel das Bedürfnis nach sozialen Kontakten, nach vielfältigen Tätigkeiten, nach Tages- oder Wochen-Struktur, das Bedürfnis, gebraucht zu werden und etwas Sinnvolles zu tun. Dann sollte man sich die Frage stellen, welche dieser Bedürfnisse man weiterhin befriedigen möchte. Welche Lebensinhalte, Aktivitäten und Mitmenschen sind dafür wichtig?
Macht es Sinn, bereits von der Pension konkrete Pläne zu schmieden?
Das ist sehr individuell. Manche brauchen zuerst einmal richtig Abstand vom Berufsleben, andere sehnen sich direkt nach einem neuen Alltag. Ich denke, man darf zu diesem Zeitpunkt ruhig auch mal seine Träume ernst nehmen. Eine Bekannte von mir wollte mit 25 so gern nach Paris zum Studieren, und hat es nicht gemacht. Nach der Pension ging sie hin und buchte einen Sprachkurs. So etwas ist doch toll.
Ist das der Weg, um Langeweile zu vermeiden?
Längerfristig sicher nicht. Auch hier gilt es wieder, seine Bedürfnisse zu analysieren. Für mich persönlich waren diese zum Beispiel Bewegung, Geselligkeit und intellektuelle Herausforderung. Dann habe ich mein Beziehungsnetz angeschaut und mir überlegt, wer wo passen könnte. So treffe ich mich nun zum Beispiel regelmässig mit einem Freund zum Schach, mit zwei andern zum Wandern. Leider besteht die Gefahr, dass man sich nur noch unter seinesgleichen bewegt. Der Austausch mit anderen Generationen ist bereichernd und wichtig, auch darum sollte man sich bemühen.
Zum Beispiel, indem man regelmässig die Enkelkinder hütet?
Das kann sehr erfüllend sein, bietet aber auch Konfliktpotenzial. Es müssen unbedingt Regeln und Grenzen abgesprochen werden. Und man sollte ehrlich sein – auch zu sich selbst: Auf die Kinder des eigenen Nachwuchses aufzupassen ist keine Pflicht, und man ist kein schlechter Mensch, wenn man das nicht regelmässig tun möchte.
Wer pensioniert wird, muss sich einen neuen Alltag aufbauen. Wie macht man das?
Es braucht etwa ein bis zwei Jahre, bis man sich nach der Pension einen befriedigenden neuen Alltag eingerichtet hat. Das geht Schritt für Schritt. Angefangen damit, ob man weiterhin einen Wecker stellen möchte oder nicht, über die Frage, ob und wie man die Aufgaben im Haushalt neu verteilt bis hin zu jener, was und wieviel man gemeinsam mit dem Partner oder der Partnerin machen möchte.
Wie vermeidet man Knatsch, wenn einer oder beide plötzlich mehr Zeit zu Hause verbringen?
Ich bin kein Freund davon, Knatsch zu vermeiden, sondern ihn konstruktiv auszutragen, Dinge neu zu verhandeln und dabei Verständnis zu zeigen. Und wir müssen uns bewusst sein, dass unser Gegenüber nicht Gedankenlesen kann.
Aber wer nach der Pensionierung allein lebt, hats auch nicht unbedingt einfacher, oder?
Man ist mit anderen Herausforderungen konfrontiert. Man muss aktiv auf andere zugehen und sich bewusst sein, dass einen am Tag nach der Pensionierung vermutlich nicht zwölf Leute anrufen, die fragen, ob man tags darauf schon etwas vorhat.
Was halten Sie davon, sich neue Hobbys zuzulegen?
Sehr viel. Man kann auch im fortgeschrittenen Alter noch Neues lernen. Ich persönlich habe zum Beispiel vor einigen Jahren mit Karate angefangen und gerade den Schwarzen Gurt erlangt. Wenn man will, ist vieles möglich.
Gibt es Dinge, die man falsch machen kann bei der Pensionierung?
Es gibt Sackgassen, die man vermeiden kann. Ich warne vor Einseitigkeit. Wenn man sich zum Beispiel total dem Velofahren verschreibt – was macht man dann im Winter? Oder was passiert, wenn die Enkel, die man nach der Pension zu seinem Lebensmittelpunkt gemacht hat, älter werden und nicht mehr so oft vorbeikommen? Da sind Enttäuschungen vorprogrammiert.
Ihr wichtigster Tipp für Neu-Pensionärinnen und -Pensionäre?
Neugierig bleiben, auf Menschen, auf Aktivitäten, ohne dabei von einem zum anderen zu hüpfen. Aktiv bleiben, ohne zu übertreiben – das dient auch der körperlichen und geistigen Gesundheit. Beides ist im Alter von unschätzbarem Wert.