Ein Film über die Feminismus-Ikone Erica Jong
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«Breaking the Wall»:Ein Film über die Feminismus-Ikone Erica Jong

Ein Film über die feministische Ikone Erica Jong
Sie schrieb in den 70ern über schnellen Sex

Sexuelle Fantasien ihrer Romanfigur machten Autorin Erica Jong (80) in den 1970er-Jahren zum Star. Nun hat der Zürcher Kaspar Kasics (70) einen Dokumentarfilm über die unerschrockene feministische Ikone gedreht. «Erica Jong – Breaking the Wall» läuft jetzt im Kino.
Publiziert: 07.01.2023 um 20:15 Uhr
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Aktualisiert: 09.01.2023 um 12:00 Uhr
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Die Schriftstellerin Erica Jong in ihrem Penthouse in einer Szene im Dokumentarfilm des Zürcher Regisseurs Kaspar Kasics.
Foto: vincafilm
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Karen SchärerTeamlead Gesellschaft

In der Schweiz hatten Frauen gerade erst das Stimmrecht erhalten. In den USA sorgten 1973 die sexuellen Fantasien einer Romanheldin für rote Köpfe. Unerhört, dass eine Frau überhaupt erotische Gedankenspiele macht – und dann noch derartige: Protagonistin Isadora Wing imaginiert schnellen, unverbindlichen, grossartigen Sex. Schriftstellerin Erica Jong (80) betrat damit vor 50 Jahren ein Territorium, das bislang männlichen Autoren wie Henry Miller und Philip Roth vorbehalten war.

Erica Jong war davon ausgegangen, dass ihr Manuskript niemals publiziert würde, und hatte deshalb ungehemmt geschrieben. Doch sie täuschte sich: Es fand sich ein Verlag.

Die New Yorkerin Erica Jong war 31 Jahre alt, als ihr Romanerstling «Fear of Flying» das puritanische Amerika aufschreckte.
Foto: vincafilm

Der Roman «Fear of Flying» (dt. «Angst vorm Fliegen») der damals 31-jährigen, in zweiter Ehe verheirateten Tochter eines Künstlerpaars transportierte feministische Anliegen direkt in die Wohn- und Schlafzimmer puritanischer US-amerikanischer Haushalte.

Star-Status dank erstem Roman

Seither hat sich der Roman über eine Frau, die aus ihrer Ehe ausbricht, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen, über 37 Millionen Mal verkauft. Er wurde in mehr als 45 Sprachen übersetzt. Erica Jongs Wortschöpfung «zipless fuck» wurde als Begriff für anonymen Sex in den Sprachgebrauch übernommen.

Dieser erste, ebenso gefeierte wie missbilligte Roman überschattet ihr späteres Werk, gut 25 Bücher, darunter Lyrikbände und Sachbücher. Mit dem Roman erlangte sie wirtschaftliche Unabhängigkeit; der weltumspannende Erfolg machte sie zur feministischen Ikone und zur illustren Figur in der New Yorker Kulturszene.

Sexualität im Alter

Auch die deutschsprachige Presse interessierte sich immer wieder für Erica Jong, letztmals, als sie 2015 mit «Fear of Dying» nicht nur ihrer ersten Romanfigur Isadora Wing zum Comeback verhalf, sondern ein weiteres Mal ein Tabu brach: Sie machte die sexuelle Lust älterer Frauen zum Thema.

Dokumentarfilmer Kaspar Kasics (70) stiess durch Zufall auf diesen letzten Roman. «Sie überraschte mich, wie sie mit Witz und Klugheit über ihre Eltern schrieb, die nicht sterben wollten», sagt der Zürcher. Seine Neugier war geweckt, und als er feststellte, dass es über diese aussergewöhnliche Frau, die auf der ganzen Welt im Fernsehen zu sehen gewesen war, keinen Dokumentarfilm gab, stand sein Entschluss fest. Sein Film «Erica Jong – Breaking the Wall» wurde 2022 am Filmfestival Locarno gezeigt, läuft jetzt in Schweizer Kinos und im Frühling in Deutschland und in den USA.

Filmisches Porträt einer Unermüdlichen

Wer sich den Film anschaut, lernt Erica Jong – inzwischen vierfache Grossmutter und seit über 30 Jahren in vierter Ehe mit dem Scheidungsanwalt Ken Burrows (81) verheiratet – als kluge, humorvolle, gepflegte Person kennen. Sie lebt in einem Penthouse voller Kunst und Bücher im eleganten New Yorker Quartier Upper East Side.

In Kaspar Kasics Film macht Erica Jong im Park Fitnessübungen, angeleitet durch einen Personal Trainer. Sie trägt dazu ein T-Shirt der 2020 verstorbenen Richterin und Frauenrechtlerin Ruth Bader Ginsburg.
Foto: vincafilm

Ihre beiden Königspudel werden zum Spazieren abgeholt, eine Angestellte wirkt in der Küche, eine Assistentin unterstützt sie beim Entwickeln ihrer Autobiografie, ein Personal Trainer leitet sie beim Fitness im Park an. Sie verbringt Zeit mit ihrer Familie, tritt als Rednerin auf, unterstützt angehende Autorinnen. Ihr geht es gesundheitlich gut; die Parkinson-Diagnose ihres Mannes hat das gemeinsame Leben noch nicht zu stark geprägt.

Unerschrocken und kämpferisch ist sie noch immer. Sie sei getrieben, Menschen wachzurütteln, sagt sie im Film. Und ausruhen möchte sie sich ohnehin nicht. «Grossmütter sollten an die Macht», schreibt sie in einem E-Mail-Austausch mit dem SonntagsBlick Magazin. Grossmütter hätten den Durchblick, was sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert habe und was sich noch ändern müsse. Sie hätten die ganze Menschheit im Blick und würden sich zudem mit beiden Geschlechtern identifizieren. Eine Welt, in der Grossmütter statt Grossväter die wichtigen politischen Positionen innehaben, wäre eine ganz andere Welt, schreibt Erica Jong. «Ich würde die Grossväter nicht rausschmeissen, aber den Grossmüttern viel mehr Macht und Einfluss geben.»

Eindrückliche historische Aufnahmen

Gehör fanden Frauen in den 1970er-Jahren weniger als heute. Spülte es eine junge Frau mal in die grossen Talkshows, konnte es passieren, dass sie von männlichen Moderatoren belehrt und beschämt wurde. Dies zeigen Aufzeichnungen aus jener Zeit, die Kaspar Kasics in seinen Film montiert hat.

Zum Beispiel: In einer Talkshow weist Erica Jong den Interviewer auf seine Doppelmoral hin. «Warum sollten Frauen nicht fluchen, wenn Männer es doch auch tun?», fragt sie ihn. «Aufrecht urinieren können Frauen ja auch nicht», gibt er zurück, schüttelt kämpferisch die Hand, bekommt Publikumsapplaus und eine Standing Ovation von der Studio-Band.

Ein anderer Moderator sagt, sie sei schuld daran, dass Frauen sexuelles Verlangen verspürten. Erica Jong gibt zurück, dies gehöre zu den Dingen, die Generationen von Frauen bislang unterdrücken mussten.

Mit ihrem Roman «Fear of Flying» wurde Erica Jong weltberühmt. Im Film sagt sie, der Ruhm, die Aufmerksamkeit und die Versuchungen hätten fast zur Selbstzerstörung geführt.
Foto: vincafilm

So waren die Zeiten, als Erica Jong mit Anfang 30 zur Person des öffentlichen Interesses wurde. Ihre Stimme gab feministischen Anliegen einen gewaltigen Schub. Zehn Jahre später fasst sie in einer weiteren Talkshow die gesellschaftlichen Veränderungen so zusammen: Frauen könnten mittlerweile alles haben, Kinder kriegen, ihren Lebensunterhalt verdienen. Die Folge: «Wir sind alle konstant müde!»

Frausein als Nachteil

Ein Zustand, den wohl viele Frauen auch ein paar Jahrzehnte später kennen. Wie schätzt Erica Jong die Situation junger Frauen heute ein? Per Mail schreibt sie, es seien Fortschritte gemacht worden. «Weitere Benachteiligungen der Frauen wurden aufgedeckt. Aber noch nicht alle.» Sie selbst sei sich der Vorurteile gegenüber Frauen in ihren Zwanzigern bewusst geworden. «Die Arbeit von Frauen wurde nicht unvoreingenommen als Arbeit eines Menschen betrachtet, sondern stets als Arbeit einer Frau», schreibt sie.

So war es ihrer Mutter ergangen, der talentiertesten Malerin an der Kunstschule. Sie wurde nicht gefördert, weil sie eine Frau war. Ihre künstlerische Karriere gab sie schliesslich auf.

Dass «Fear of Flying» von einer Frau geschrieben worden war, beeinflusste die Rezeption wesentlich: Der Roman wurde als Sexbuch wahrgenommen. Die zugrunde liegende Thematik der Selbstermächtigung wurde ausgeblendet. «Es schockierte mich, dass manche Menschen darin ein schmutziges Buch sahen», sagt Erica Jong zu Dokumentarfilmer Kaspar Kasics.

Radikale Ehrlichkeit

Die wahrgenommenen Ungerechtigkeiten trieben Erica Jong dazu an, weiterzumachen. Sie wollte nichts weniger als die Welt verändern. Ihr Mittel: radikale Ehrlichkeit. «Die Wahrheit über unsere Leben zu erzählen, ist ein Weg, frei zu werden», sagt sie.

Sie sieht sich als Chronistin eines weiblichen Lebens, setzt sich unermüdlich dafür ein, ungehörten weiblichen Stimmen Gehör zu verschaffen. Dass diese New Yorkerin selbst immer noch etwas zu sagen hat – diese Erkenntnis verdankt die Öffentlichkeit wiederum dem Filmporträt von Kaspar Kasics.

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