Lebenshof statt Bauernhof
«Bei uns ist eine Kuh mehr als eine Ohrenmarken-Nummer»

Sie waren das Dorfgespräch: Selina (31) und Adrian Blaser (32) wandelten den Mutterkuh-Haltungs-Hof seiner Eltern in einen Lebenshof um. Hier dürfen Tiere ohne Nutzen alt werden. Auslöser für den Wandel war Kuh Aura.
Publiziert: 28.01.2023 um 15:05 Uhr
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Aktualisiert: 30.01.2023 um 11:19 Uhr
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Die siebzehnjährige Kuh Aura hat die Umstellung von der Mutterkuh-Haltung zum Lebenshof mitgeprägt.
Foto: Lebenshof Kuherde
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Barbara EhrenspergerRedaktion Green

«Dreizehn Kälbchen hat unsere Kuh Aura geboren. Zum ‹Dank› hätten wir sie gemetztget, wenn sie nicht mehr gebären konnte», erzählt Selina Blaser (31) beim Besuch von Blick im Hof oberhalb von Bowil BE. Aura war der Auslöser, dass aus dem Bauernhof ein Lebenshof wurde – ein Zuhause für Tiere bis an ihr Lebensende.

«Die siebzehnjährige Aura hat sich dann noch eines Kälbchens angenommen und bekam so noch etwas Zeit geschenkt – und ich auch. Denn ich wollte just in dieser Zeit mit Adrian sprechen, ob wir uns nicht zum Lebenshof wandeln wollen», erzählt die Mutter zwei Töchter, die im Wohnzimmer nebenan spielen.

Ehemann Adrian (32) war zwar skeptisch, besuchte aber gemeinsam mit seiner Frau die Organisation Hofnarr im zürcherischen Hinteregg. Diese unterstützt Bauern auf dem Weg zum Lebenshof.

«Wir waren das Dorfgespräch»

Den Hof haben Adrian und Selina Blaser 2020 von seinen Eltern übernommen. Allerdings waren sie nicht Vollzeit-Bauern. Adrian Blaser ist als Landmaschinen-Mechaniker in einem Teilzeitpensum angestellt und bewirtschaftet den Hof neben dieser Tätigkeit. Das hat die Umstellung finanziell erleichtert.

«Hier im Emmental fanden es die Menschen um uns herum komisch, dass wir Tiere halten wollten, die keinen Nutzen haben», erzählt sie. «Wir waren das Dorfgespräch!» Vor allem die ältere Generation hatte Mühe, dass sie den Hof nicht traditionell weiterführen wollten. «Es war und ist nicht einfach, aber wir haben einen gangbaren Weg gefunden», erzählt Selina Blaser.

Neue Ideen umsetzen

«Adrian und ich möchten einer neuen Generation aufzeigen, dass es auch möglich ist, anders zu leben und arbeiten», erzählt sie. Neben dem Lebenshof für Tiere, haben sie versucht Kichererbsen anzubauen für ein Start-up, das Schweizer Hummus herstellt.

«Das hat überhaupt nicht geklappt – die Ernten waren viel zu gering», verrät die 31-Jährige gerade heraus. «Aber vom Urdinkel konnten wir im Herbst gut ernten und das verfolgen wir nun weiter», sagt sie. Die Nahrung, wie eben Urdinkelmehl oder auch Gemüse direkt herzustellen und nicht via ein Tier, das sei für sie unglaublich motivierend, erzählt die gelernte Gärtnerin.

Daher überrascht es auch nicht, dass die Familie mehr oder weniger Selbstversorger sind, was das Gemüse, Mehl und Früchte angeht. Sie geniessen es als Familie, sich vegan zu ernähren – das sei schrittweise erfolgt und nicht von heute auf morgen. «So stimmt es für uns», sagt sie. Sie wolle auf keinen Fall missionieren.

Fünfzig Tiere auf dem Hof

Rund 50 Tiere leben auf dem Hof Kuherde: Kühe, Schafe, Zwergziegen, Hühner, Katzen, Kaninchen, Meerschweinchen und eine Schildkröte. Es sei so viel befriedigender, den Tieren ein Leben ermöglichen: «Bei uns ist eine Kuh, ein Tier mit Seele und Charakter und nicht einfach eine Ohrenmarkennummer.»

Aktuell bekommen sie wöchentlich Anfragen, ob sie noch diese Kuh oder jenes Schwein oder Kaninchen aufnehmen könnten. «Leider müssen wir absagen, da wir kein Platz mehr haben», sagt Selina Blaser. Aber sie bemüht sich, dass diese Tiere bei anderen Höfen unterkommen können, damit diese einen Lebensabend haben.

«Es ist schön, dass ein Umdenken stattfindet», freut sie sich – für sich und ihre Töchter: «Wir möchten unseren Töchtern weitergeben, dass man Landwirtschaft in Harmonie betreiben kann, das heisst, dass wir nicht Profit machen wollen, aus dem Leiden von Tieren oder der Natur».

120 Franken pro Monat für ein Kaninchen

Die Umstellung war eine neue Herausforderung: Wie findet man Paten für die Tiere, die die Kosten übernehmen? Was muss in die Kosten für eine Patenschaft rein? Und wie unterhält man Instagram und was hilft die Plattform? Viele Fragen, die Selina Blaser auf ein Mal beantworten musste.

«Der Verein Hofnarr hat uns da enorm geholfen», sagt sie. Zum Beispiel mit der Schätzung für die Kosten eines Tieres. Eine Vollpatenschaft (voller Lebensunterhalt inklusive Tierarztkosten) für eine Kuh kostet 250 Franken pro Monat, für ein Kaninchen 120 Franken und für ein Huhn oder einen Hahn 30 Franken. Es sind aber auch Teilpatenschaften möglich ab 10 Franken im Monat.

Ein Siloballen für die Tiere

Heute zeigt Selina Blaser auf Instagram und ihrer Webseite, die sie bewirtschaftet, wie es den Tieren geht und lädt zu Patentagen ein. An diesen Nachmittagen dürfen alle Paten vorbeischauen, sich den Hof und die Tiere ansehen und werden bewirtet.

Nicht nur die Paten schätzen offenbar den Lebenshof, sondern auch die anderen Bauern im Emmental. Immer noch überrascht über die schöne Geste, erzählt Selina Blaser: «Ein Bauer aus der Region kam mit einem Siloballen als Geschenk für unsere Tiere».

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