Drei Monate Surfen in Nicaragua und in einem Bungalow direkt am Strand wohnen – das war der Plan von Khalil Radi (28). Statt nur auf Wellen zu reiten, wurde der Zürcher aber auf die Armut und das grosse Plastikproblem in der Region aufmerksam. Ihm wurde klar, dass er dagegen etwas tun wollte.
Radi organisierte zusammen mit Jaffet, einem Mitarbeiter seiner Unterkunft, Zutaten für Mittagessen und liess die Leute dafür mit gesammelten Plastikflaschen bezahlen. Den Anlass in Virgen de Morena bei Popoyo dokumentierte er mit seiner Kamera und stellte die Bilder anschliessend online, wo sie von Anna Garcia Herbst (27) entdeckt wurden, die Radi aus der Primarschule kennnt. «Ich fand die Idee grossartig und habe gleich Geld gespendet und gefragt, ob ich helfen kann», erzählt Herbst.
Nach der ersten Veranstaltung organisierte Radi mit Jaffet zwei weitere Plastikflaschen-Tausch-Events. Drei Monate später kehrte er nach Zürich zurück. Doch die Idee von Essen mit Plastikflaschen-Bezahlung blieb.
«In dieser Phase haben wir sehr viel Zeit investiert, uns Wissen über die Probleme in Nicaragua anzueignen. Viele Ideen für nachhaltige Prozesse wirken auf den ersten Blick gut, erweisen sich aber beim genaueren Hinsehen als mangelhaft», meint Herbst, die Kommunikation an der Universität Zürich studiert hat.
Keine Sammelstelle in der Nähe
«Wir haben uns zum Beispiel gefragt, was wir mit den ganzen gesammelten Plastikflaschen machen sollen», erzählt Herbst weiter. Recyclingstellen gibt es in Nicaragua nicht, einen Recycling-Kreislauf zu gestalten ist daher nicht möglich.
Radi hatte in Nicaragua Bekanntschaft mit einer engagierten Auswanderin aus Deutschland gemacht. Sie erzählte von ihrer Idee, die Plastikflaschen für den Bau eines Hauses zu verwerten. «Unsere erste Reaktion war ungläubig. Wir dachten, das sei utopisch! Aber sie zeigte uns, dass es möglich war», so Herbst.
So gaben die beiden den ersten gesammelten Flaschen ein zweites Leben – als Baumaterial für das Haus. Nach der ersten Euphorie merkten die zwei aber schnell, dass die spätere Wiederverwertung schwierig wird. Denn der Zement und Plastik werden vermischt und können später nicht mehr getrennt werden.
Aus Deckeln entsteht Neues
«Uns war wichtig, dass wir eine Kreislaufwirtschaft etablieren. Der Zyklus sollte nicht beim einmaligen Recycling enden», sagt die Kommunikationsfachfrau. So bauten sie eine kleine Manufaktur auf, die die gesammelten Plastikdeckel wiederverwertet.
«Für das Recycling des PET braucht es teurere Maschinen, und wir starteten mit kleinen Ressourcen. Wir sind sehr froh, eine Lösung für die Deckel (PP und HDPE) gefunden zu haben, an weiteren Lösungen sind wir dran», so Herbst weiter. Im Januar 2022 Januar war die Plastikverarbeitungsmaschine in Nicaragua einsatzbereit. Aus den Plastikdeckeln wurden die ersten Surfkämme, mit denen man Wachs vom Brett kratzt, hergestellt.
«Khalil war für die Gründung der Manufaktur neun Monate vor Ort und ich drei Monate lang», erzählt Herbst. Heute haben dort zwei Frauen und ein Mann einen fair bezahlten Job. Ein Team von sechs lokalen Mitarbeitenden organisiert zudem jeden Monat die Buy Food with Plastic-Events. «Wir möchten den Menschen aufzeigen, wie sie mit dem Abfall umgehen können», erklärt Garcia Herbst. «Durch den Kauf von Mahlzeiten bekommen die Flaschen einen Wert und werden nicht mehr achtlos weggeworfen.»
3000 Franken Lohn
Finanziert wird momentan alles durch Spenden von Privaten, Partnerschaften und Stiftungen. «Uns ist Transparenz sehr wichtig und wir legen alle Zahlen auf unsere Webseite offen», erklärt die Zürcherin. Sie benötigen ein Budget von jährlich rund 360'000 Franken, um alles zu bezahlen.
Seit 2020 arbeiten Khalil Radi und Anna Garcia Herbst zu 100 Prozent für den sozialen Verein. Das restliche Team in der Schweiz ist in Teilzeitpensen von 20 bis 60 Prozent angestellt.
Dass sie alles für ihren gemeinnützigen Verein tun, zeigt sich auch in ihrer sogenannten Charity Gallery: Diese kann man für ein Event oder mehrere Tage für einen grösseren Anlass mieten. Dann schieben sie die Tische im Büro weg, organisieren Caterings (wenn das gewünscht ist) und alles drum und dran. «Mit diesen Einnahmen reduzieren wir die Mietausgaben», erklärt Herbst.
Mit der Herstellung und dem Verkauf von mehr Produkten aus Plastik möchten sie die Flaschen-gegen-Mahlzeit-Anlässe in Zukunft zu 70 Prozent selbst finanzieren und nur noch zu 30 Prozent auf Spenden stützen.
Sachets statt Flaschen
«Unser Konzept ist super skalierbar und somit in der ganzen Welt anwendbar», sagt die Mitgründerin. «Damit wir unsere Arbeit aber richtig machen können, haben wir uns dazu entschlossen, uns erstmal auf drei Länder zu fokussieren.»
Wichtig sei zu beachten, dass in jedem Land die Gegebenheiten anders sind. In Ghana etwa hätten die Menschen weniger mit Plastikflaschen zu kämpfen, sondern eher mit sogenannten Sachets. Das sind Plastikbeutel, aus denen man trinkt. «Jedes Land hat eine eigene Kultur, andere Probleme, andere Infrastrukturen. Es ist essenziell, die lokalen Bedingungen individuell zu studieren und unsere Arbeit entsprechend anzupassen», sagt Herbst.
So wurden bisher 62'000 Flaschen gesammelt, wobei etwa die Hälfte der Flaschen aus der Natur gerettet wurden. Ein Erfolgserlebnis der anderen Art war: «An einem Ort kamen immer rund 200 Personen zu den Sammel-Anlässen, dann plötzlich nur noch 105 Personen. Auf die Frage weshalb entgegneten sie: Wir finden kein Plastik mehr auf den Strassen!»