Bitte nicht wegwerfen
Denn aus Sonnenstoren werden Taschen mit Wert

Die Sonnenstoren der Siedlung an der Heidwiesenstrasse in Schwamendingen ZH wären im Abfall gelandet. Doch die zwei Zürcher Alex Benz (30) und Léna Tripet (30) hatten eine Idee: Warum den Stoff nicht weiternutzen? Die daraus genähten Taschen sind für alle ein Gewinn.
Publiziert: 10.07.2021 um 11:22 Uhr
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Aktualisiert: 10.07.2021 um 11:26 Uhr
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An der Heidwiesenstrasse in Schwamendingen ZH demontiert Alex Benz (30) einen alten Sonnenstoren.
Foto: zVg
Barbara Ehrensperger

Alex Benz (30) wird im Frühling 2020 zu einem Abriss-Grillabend bei einem Freund in einer Überbauung aus den 70er-Jahren in Zürich-Schwamendingen eingeladen. Während er mit einem Bier auf dem Balkon sitzt, fällt sein Blick auf die alten Sonnenstoren. «Schöner Retro-Stoff», denkt er sich.

«Das war der Auslöser», erzählt Benz Blick und lacht. «Gerne wollte ich den Stoff nutzen, anstatt zuzusehen wie dieser – wie der Rest des Hauses – einfach verschrottet wird», so der Zürcher.

Die Haus- sowie die Bauverwaltung, die von Benz kontaktiert wurden, fanden die Idee toll und halfen unkompliziert weiter.

Teppichmesser und Holzkiste

Bald stand Benz gemeinsam mit seiner Start-up-Partnerin Léna Tripet (30) mit einem Teppichmesser und einer Holzkiste in der Siedlung an der Heidwiesenstrasse. Gemeinsam schnitten sie die Stoffe von den Storen.

Bei Attached, dem Start-up-Unternehmen von Benz und Tripet, wurden aus dem Stoff schöne Taschen genäht. Die Firma der beiden arbeitet mit Stiftungen zusammen, die Menschen in schwierigen Lebensituationen anstellt.

Der Sonnenstoren-Stoff wurde in der Domino Stiftung in Hausen AG gewaschen und gereinigt. Hergestellt mit dem Wissen und der Erfahrung der Vereinswerkstätten Drahtzug in Zürich. Vernäht und graviert wurde alles dann in der Quellenhof-Stiftung in Winterthur ZH. «Jede Tasche ist ein Einzelstück und handgemacht», so Benz.

Mit einem Geschenk gestartet

Die Taschen sind nicht das erste Produkt von Attached. «Als Léna vor vier Jahren aus Südamerika retour kam, schenkte sie mir ein selbstgemachtes Brillenband», erzählt Benz. Dafür habe er viele Komplimente erhalten.

Die beiden fragten sich, wie sie so etwas in der Schweiz herstellen lassen könnten. Via eine Freundin traten sie in Kontakt mit der CB Stiftung in Oerlikon ZH. In einem Workshop zeigten sie, wie man diese knüpft. Heute knüpfen zwischen sieben und neun Menschen solche Brillenbänder.

«Für die Stiftungen ist unsere Arbeit eine Abwechslung und nicht wie ein Gross-Auftrag, der dann wieder fertig ist», sagt Benz.

Mit Sonnenstoren-Herstellern im Gespräch

«Die Sonnenstoren-Taschen haben uns so inspiriert, dass wir nur noch mit Materialien aus lokalen Quellen arbeiten möchten», erzählt Benz weiter. Mittlerweile konnte das Team fünf verschiedene Stoffe aus Überbauungen mitnehmen und damit das nachhaltige Taschensortiment erweitern. Und sie sind in Gesprächen mit grossen Sonnenstoren-Herstellern, ob sie bei Ersatzbestellungen die alten Storen haben könnten.

«Die Tasche ist teuer, aber sie soll ihren Preis haben, denn sie ist handgemacht», sagt Benz. Im Monat bekommen sie im Schnitt 100 bis 150 Bestellungen, davon 40 Taschen. «Wir reinvestieren eigentlich alles. Zudem: Wir sind damals mit nur rund 500 Franken gestartet.»

Benz lebt momentan von seinem Ersparten, denn er arbeitet Vollzeit für Attached – und hofft, dass er später von dem Unternehmen leben kann. Tripet engagiert sich neben ihrem Teilzeit-Job auch voll für das Start-up.

Lange Henkel oder Portemonnaie?

«Wir ergänzen uns super: Léna bringt die Struktur in meinen Elan», erzählt er. Den Elan hat er von Nikin, dem nachhaltigen Modelabel, mitgenommen. Als einer der ersten Angestellten konnte er das Wachstum des Unternehmens hautnah miterleben.

Und als Freestyle-Skiathlet weiss er das Risiko einzuschätzen: «Entweder man fährt so gut wie Andri Ragettli oder man wird schliesslich Coach oder Physio – das wollte ich nicht», erzählt er. So steckt er seine Leidenschaft in das Unternehmen und fährt nur noch für sich Ski.

Lange Henkel oder Innentasche? Das wäre laut Benz eine Erweiterung der Sonnenstoren-Tasche. Oder vielleicht ein Necessaire oder Portemonnaie? «Oder etwas aus Frottee? Schliesslich gibt es in vielen Hotels Frottee-Tücher, die man nutzen könnte.» Ideen seien also genügend vorhanden, sagt er schmunzelnd.

Tasche mit Erinnerung

Die Tasche aus Sonnenstoren-Material ist nicht nur für die Umwelt ein Gewinn. Sondern auch für die Näherinnen und Näher in den Stiftungen, deren Tätigkeiten abwechslungsreicher werden, und die Käuferinnen und Käufer.

«Die Verwaltungen der Gebäude haben Taschen als Kundengeschenke bestellt. Sie haben emotionalen Wert. Verschiedene Personen haben uns beim Bestellen erzählt, dass sie die Tasche für den Grossvater oder die Eltern kaufen, die in der Siedlung gewohnt haben», sagt Benz. Das ganze Unterfangen ist also nicht nur nachhaltig für die Umwelt, sondern auch für die Menschen.


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